Im letzten Moment kam die gute Nachricht: Das Filmfest München kann auf den Leinwänden der Kinosäle und an der Stadtluft stattfinden. Heute öffnen sich die Pforten! Deshalb gibt es für Sie vorab den komplette Artikel aus unserer Juli-Ausgabe.

Filmfest München 2021

Zeit zum Zeichen setzen

filmfest münchen

Grace Van Patten im dunklen Märchen »Mayday«, zu sehen auf dem Filmfest München, das nach der pandemiebedingten Absage im vergangenen Jahr einen neuen Anlauf nimmt | © Filmfest München / Ivan Sardi

Es soll der große Neustart sein, die Wiederbelebung der Leinwand nach langer Zwangspause. Das Filmfest München hat das Glück, sich mit den aktuellen Lockerungen als das zu präsentieren, was es sein will: ein Kinofestival, ein Treffpunkt für Filmbegeisterte, live anwesend in der ganzen Stadt. Oder wie es Festivaldirektorin Diana Iljine 2019 im Interview mit dem Münchner Feuilleton ausdrückte: »Wir wollen uns in Richtung eines Volksfests entwickeln«. Selbstverständlich kann aber 2021 noch nicht alles Filmfest-Normalität sein. Wie sie bei der Pressekonferenz betonte: »Mit dem roten Teppich und vielen Partys ist es in diesem Jahr ein bisschen anders. Tanzen werden wir nicht, aber wir können uns alle in die Augen sehen.« Immerhin werden neun Open-Air- und sieben klassische Kinos bespielt. Die Chancen für ausgiebigen Blickkontakt sind also gegeben.

Weltkino und Heimatkrimi

70 Filme aus 29 Ländern konnte man zusammentragen, davon sind 28 zum ersten Mal in Deutschland zu sehen und ganze 33 Werke feiern in München ihre Weltpremiere. Im Vergleich zu einem üblichen Festival ist die Zahl natürlich überschaubar. Sicher liegt das auch daran, dass man heuer keine Filme der Festspiele von Cannes mitnehmen konnte, das sich mit dem Start am 6. Juli mit den Filmfest überschneidet. Für Christoph Gröner, nun zum zweiten Mal künstlerischer Leiter, kein Problem: »Wir sind wunderbar in einem Sandwich eingefügt, zwei Wochen vorher mit der Berlinale und danach übergehend in Cannes. Die Mitte des Sandwichs ist der leckerste Teil.« Ob das kulinarisch korrekt ist, müssen andere beurteilen. »Wir begreifen jeden einzelnen Film als absoluten Höhepunkt, weil wir aus dem Vollen schöpfen konnten, aus eineinhalb Jahren Weltkino.« Dass das Filmfest München dann mit »Kaiserschmarrndrama« eröffnet, dem neuen Teil der Filmreihe nach den Romanen von Rita Falk, mag da erst widersprüchlich klingen. Aber auch hier setzt man eine Tradition fort, immerhin begleiten die Krimis das Festival seit 2013.

Und man muss ehrlich sein: Nach Resterampe sieht das Programm wirklich nicht aus. Für Bernhard Karl, den Leiter des Internationalen Programms, ist vor allem Kiyoshi Kurosawas »The Wife of a Spy«, eine japanische Melange aus Spionagethriller und Melodram ein besonderes Highlight: »Der Film ist ziemlich schwer zu bekommen, und ich bin sehr stolz darauf, dass wir ihn zeigen können«. Einen besonders prophetischen Beitrag stellt »The Pink Cloud« der brasilianischen Regisseurin Iuli Gerbase dar. In ihrer Science-Fiction-Vision sieht sich die Welt plötzlich mit einer übermächtigen Gefahr in Gestalt einer rosaroten Wolke konfrontiert, die das Leben derer bedroht, die so unvernünftig sind, sich auf die Straßen zu wagen. Nach und nach beginnt die Bevölkerung sich jedoch damit zu arrangieren und sieht sogar die Vorteile einer solchen Einschränkung. Die wirkliche Pandemie überraschte das Team dann während der Postproduktion. Die Frage mag komisch klingen, aber gibt es einen besseren Zeitpunkt für einen solchen Film, um auf das Publikum losgelassen zu werden?

Wer bin ich und wo gehöre ich hin?

Daneben zieht sich mit der Suche nach Heimat und Identität ein kleiner roter Faden durch das Programm. In Franka Potentes Regiedebüt »Home« versucht ein Ex-Häftling den Kontakt zu seiner Heimatstadt wiederherzustellen, die ihm jedoch seinen begangenen Fehler nicht verzeihen kann. Merawi Gerima zeigt mit »Residue«, wie die Gentrifizierung in Washington D.C. die afroamerikanische Community bedroht, während mit weit humorvollerem Ton vier Asylsuchende in »Limbo« (R: Ben Sharrock) auf einer schottischen Insel das neue Zuhause suchen. Zudem sind Geschlechterrollen und Queerness immer wieder Thema, wie in »Sommer 85«, dem neuen Film von François Ozon, der eine schwule Liebesgeschichte in der Normandie der Achtziger erzählt. Weit fantastischer entführt »Mayday« (R: Karen Cinorre) seine Hauptprotagonistin in eine matriarchale Parallelwelt, in welcher sie angesichts des eskalierten Geschlechterkampfes die eigenen Ideale hinterfragen muss. Dokumentarisch hingegen nähert sich Jonas Rothlaender mit »Das starke Geschlecht« den Fragen nach Identität und lässt seine Protagonisten über Sexualität, Macht und Stereotypen reflektieren.

Interview mit Kinderfilmfest-Leiter Tobias Krell

Auch auf dem Kinderfilmfest findet die Thematik in diesem Jahr Einzug, mit der Uraufführung des Starts der dritten Staffel von »Wir sind jetzt«. Regisseur Christian Klandt nähert sich in den neuen Folgen der prämierten Serie erstmals den Erfahrungen einer transsexuellen Figur. Für den neuen KFF-Leiter Tobias Krell eine wichtige Neuerung, nicht nur was sexuelle Diversität an sich angeht: »Wir wollen das Kinderfilmfest auch in Richtung eines jugendlichen Publikums öffnen«, wie er auf der Pressekonferenz betonte. Natürlich ist auch für die Unterhaltung der jüngeren Zuschauer etwas geboten, besonders die Realverfilmung »Lauras Stern« (R: Joya Thome) nach Klaus Baumgarts beliebtem Jugendbuch dürfte da hervorstechen.

Große Damen

Mit besonderem Stolz betont Diana Iljine die rein weibliche Riege bei den diesjährigen Preisen, einem »Traumquartett an Frauen«. Mit dem CineMerit-Award wird eine Grande Dame des deutschen Films, nämlich Senta Berger ausgezeichnet, zudem die amerikanische Schauspielerin Robin Wright, deren Regiedebüt »Abseits des Lebens« gezeigt wird. Der MargotHielscher-Preis geht mit Franka Potente an eine weitere Debütantin auf diesem Gebiet. Mit der diesjährigen Hommage wird Magorzata Szumowskas (»Der Masseur«, »Die Maske«) geehrt, die nun seit bereits 21 Jahren eine bedeutende Figur der polnischen Filmszene ist. Auf den ersten Blick also gar nicht so viele Änderungen, wie man meinen will, auch wenn die Zusammenkunft mit anderen CineastInnen immer noch unter den Sternen von Schutzmasken und Abstandsregeln steht. Die Branche kann sich jedenfalls unter dem Banner »Beergarden Convention« treffen. Die Arbeit des Teams muss man an dieser Stelle einfach positiv hervorheben. Unter gefühlt täglich wechselnden Bedingungen und Verordnungen kann man sich vorstellen, welcher Stress hinter den Kulissen ablief. Eine Planungsarbeit, die auch jetzt natürlich nicht vorbei ist, ein Virus hat schließlich eher wenig Verständnis für die Bedürfnisse von Kinogängern.

Ein digitales Ausweichprogramm für das Filmfest München, nach Beispiel des DOK. fest war übrigens an keiner Stelle geplant, was Iljine mit der Schwierigkeit der Verleihrechte und mit der Lust am direkten Kinoerlebnis begründet. Beides verständlich, jedoch sollte man das Internet als Forum nicht gänzlich außer Acht lassen, besonders in einer Zeit, in der Lebenszeichen der Kulturschaffenden besonders wichtig sind. Wie auch immer, die Stadt wieder in Bewegung zu sehen, sollte sich nach den Strapazen des letzten Jahres wie Balsam anfühlen. Dabei ist es nebensächlich, ob man Volksfeste nun eigentlich mag oder nicht. Oder wie man zu Sandwiches und Kaiserschmarrn steht. ||

FILMFEST MÜNCHEN
1. bis 10. Juli | Programm

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