Regisseur Dominik Graf über seinen neuesten Film – die Erich-Kästner-Verfilmung »Fabian oder der Gang vor die Hunde«.
»Fabian oder der Gang vor die Hunde«
Ein Fremder im Fluss der Zeit
Warum haben Sie Erich Kästners hellsichtigen Literaturklassiker von 1931 gerade für den dunklen Resonanzkörper Kino adaptiert und wie heutig ist die titelgebende »Fabian«-Figur für ein Publikum des 21. Jahrhunderts?
Dominik Graf: Ich habe den Roman erstmals 1979 passenderweise in Westberlin gelesen. Ich fand vieles darin hinreißend, große Literatur, die Liebesgeschichte vor allem, die Dialoge, die beschreibenden Beobachtungen … damals drehte Wolf Gremm gerade seine Version des Stoffs. 2014 ist »Fabian« dann erstmals ungekürzt erschienen. Der Plan, ihn noch mal zu verfilmen, war sofort da. Nach einem vergeblichen ersten Anlauf kam Felix von Boehm 2016 auf mich zu, bereits mit einem Drehbuch von Constantin Lieb. Seine Adaption blieb dicht an den Figuren, umging einige erzählerische Eskapaden und Gestalten, die mir auch zu metaphorisch erschienen, die Figur des Erfinders beispielsweise, und ich sah darin die Chance, daraus eine Art Straßen- und Caféhaus-Liebesfilm zwischen Fabian und Cornelia zu machen. Episodisch und ausufernd und mit reduzierten Mitteln versuchend, die Zeit drumherum einzufangen. Man kann solch ein Buch nicht auf eine Dramamaschinerie à la moderne Seriendramaturgie runterrechnen, man muss zwar kürzen, aber ich finde, alle Szenen und Situationen und Stimmungen von Kästner, die im Film sind, die müssen dann auch völlig auserzählt werden können. In jeder Hinsicht. Ich glaube auch, Fabian ist eine zeitlose Figur, sie ist völlig in diesen Berliner Jahren verankert, aber sie ist gleichzeitig ein Fremder im Fluss seiner Zeit. Er versucht unbeteiligt zu sein, er ist ein fast freudiger Chronist des Niedergangs um ihn herum, aber die Gefühle reißen ihn dann doch mit.
Dominik Graf im Interview mit Simon Hauck zu seinem Film »Die Sieger«
Was hat Sie persönlich an diesem zeitkritisch-ironischen »Gang vor die Hunde« gereizt und mit welchen produktionstechnischen, finanziellen oder redaktionellen Problemen hatten Sie während der Realisation zu kämpfen?
Ja, eben das. Die Liebesgeschichte – Kästner schreibt tolle Kennenlern- und auch Trennungsszenen. Und dann die Zeit, in der es spielt. Und das Ganze ohne Golden-Twenties-Glamour, sondern eher mit Kleinbürgerpensionen und Künstlerbordellen – und eben die Straßen von Berlin 1931. Es durfte alles nicht zu teuer werden, das war manchmal kompliziert, aber es gab inhaltlich keine Probleme. Felix, Constantin und ich (Felix von Boehm, Produktion, und Constantin Lieb Drehbuch – Anm. d. Red.) waren uns mit den beteiligten Redaktionen Arte und ZDF, Daniel Blum und Andreas Schreitmüller, in der Drehbucharbeit völlig einig. Ich konnte den Film so machen, wie ich ihn mir gewünscht hatte.
In Ihrer dreistündigen Adaption lesen Sie Kästners ebenso komplexen wie melancholisch grundierten »Fabian«-Kosmos quasi mit allen synästhetischen Mitteln des Mediums. Mit welchem dramaturgischen Konzept Sie sind daran gegangen und wie viel wurde letztlich am Set improvisiert?
»Lesen« ist ein schöner Begriff für Inszenierung bei einer Literaturadaption. Um den wilden Lauf dieser Zeit in den Untergang damals zu illustrieren, kann man schon ein wenig zu den expressionistischen Mitteln der 1920er greifen, glaube ich. Andererseits ist auch die Nouvelle Vague immer wieder eine Quelle von Inspirationen im Umgang mit Literatur im Film. Bei Truffaut und Godard war die Sprache eine gleichberechtigte Ebene, manchmal fast konkurrierend. In Deutschland ist Sprache im Film immer ein Streitpunkt, weil hier spießige Reinheitsgebote im Formalen gelten. »Film ist Film, also will ich alles sehen und will doch keinen Off-Kommentar hören …« Aber die Sprache Kästners ist ja auch das Schöne am Buch, also warum soll er den Film – seine Geschichte – nicht begleiten? Und Off-Erzählung kann im Zusammenspiel mit den Bildern Wunder wirken. Insofern ist das »Lesen« auch wieder ein stimmiger Begriff, ein Film aus der Weltliteratur sollte auch eine Art Vorlesung sein. Improvisationen sind oft gut, um sich von einem gegebenen Rahmen mal zu befreien. Oft landet man dann aber letztlich wieder beim vorgesehenen Ablauf.
Wie erinnern Sie sich an Ihre kurze Begegnung mit dem Autor in München, als Sie selbst noch Gymnasiast waren und damals gerade erfolgreich an einem Vorlesewettbewerb teilgenommen hatten?
Ach, das ist so lange her. Sommer 1962. Er war in der Jury der bayerischen Vorlesemeisterschaft für fünfte Klassen. Ich habe im Finale gegen einen Nürnberger verloren. Meine Mutter suchte ihn danach ungefragt in seinem Lieblingslokal auf, und er war sehr nett. Die beiden kannten sich aus den frühen Nachkriegs-Kabarettzeiten in München. ||
FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE
Deutschland 2021 | Regie: Dominik Graf
Mit: Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch u.a.
176 Minuten | Kinostart: 5. August
Simon Haucks Kritik und weitere Film-Themen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
»Das schwarze Quadrat« : Ab heute im Kino!
Fabian: Erich Kästners Roman als Stück am Volkstheater
Herr Bachmann und seine Klasse: Im Kino
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton