Bücher sind immer eine gute Idee für den Weihnachtsbaum. Hier haben wir fünf ganz unterschiedliche Empfehlungen für die, die noch ganz schnell etwas brauchen. Da freut sich auch die Buchhandlung.

Bücher zu Weihnachten 2021

Georges Bataille. Die Erotik

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GRAUEN UND ERREGUNG

»Das Horrendeste, das zugleich auch das Sakralste ist«, so beschreibt Georges Bataille in seinem gleichnamigen Essay von 1957 die Erotik. Schon an diesem Satz aus der Einleitung merkt man, dass der französische Schriftsteller und Denker hier keine leichtfrivolen Töne anschlagen wird, sondern einen tiefen Blick ins Dunkle wirft. Er schreibt vom ewig einsamen Menschen, der nach Vereinigung sucht, dem verstörenden Blick ins Heilige, Begriffen wie Tabu, Opfer, Orgie und dem, was sich wie ein schwarzer Faden durch sein literarisches und philosophisches Werk zieht: der Verwandtschaft von Erotik und Tod.

Diese Reise ist nicht sinnlich oder gar angenehm, aber dafür eine bewusstseinserweiternde Begegnung mit dem Unaussprechlichen, die verschiedenste Disziplinen wie Anthropologie, Soziologie und Ökonomie streift. Man kann sich denken, dass Bataille trotz seines nachhaltigen Einflusses auf die Poststrukturalisten auch heute noch eher eine Randnotiz in der Geschichte der Philosophie ist. Von Sartre wurde er verächtlich als »Mystiker« bezeichnet. Genau dieser Hang zum Mystischen ist es aber, der die Lektüre zu einem prägenden Erlebnis werden lässt. Man kann Matthes & Seitz nur danken, dass diese dunkle Perle, angereichert mit allerlei ergänzenden Texten, neu veröffentlicht wurde (wie übrigens ein Großteil seiner Bücher). ||
MATTHIAS PFEIFFER

GEORGES BATAILLE: DIE EROTIK
Aus dem Französischen von Gerd Bergfleth
Matthes & Seitz Berlin | 475 Seiten | 16 Euro

 

Josef Parzefall & Richard Oehmann. Kasperl und der Kornkreis

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Rutschbahn

Kornkreise sind schwer in Mode. Wo immer sie auf Äckern auftauchen, pilgern Esoteriker zu dem spirituellen Kraftort, wo Aliens ihr Logo hinterlassen haben. Und trampeln den Rest des Getreides platt. Clevere Bauern machen gegen Eintritt ein Kompensationsgeschäft draus. Herrlicher Stoff für Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater und die absurden Kasperl-Hörspiele aus Hinterwieselharing. Das Stammpersonal sprechen und singen wie immer Richard Oehmann und Josef Parzefall. Schauspieler Gerd Lohmeyer gibt den Herrn Krause, ein außerirdisches grünes Männchen, das in einem unterirdischen Verlies mit stöckelnder Buttermilch zur Weltrettung forscht. Und der großartige Jazzvibrafonist Wolfgang Lackerschmid untermischt die vielen Songs mit seinem Sound. Das neue Freibad soll eröffnet werden.

Kasperl und Seppl müssten die Liegewiese mähen, spielen aber lieber Pingpong. Die Großmutter will den alten Rutschturm überprüfen, auf dem man immer so schön quietscht, fällt aber durch eine Falltür zu Herrn Krause. Und ein Kornkreis auf der Wiese lässt Hexe und Bürgermeister von Esoterik-Tourismus träumen, dann eben ohne Freibad. Alles wunderbar hanebüchen und hirnrissig und doch dicht dran an g’spinnerten Ideen, die derzeit Konjunktur haben. Auch Bildungsbürger können lachen: Zauberer Wurst will Land-Art-Künstler sein, Seppl kontert, das habe er auf der letzten documenta schon besser gesehen. Großer Spaß für Groß und Klein. ||
GABRIELLA LORENZ

JOSEF PARZEFALL UND RICHARD OEHMANN: KASPERL UND DER KORNKREIS
Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater, 2021 | Download und CD 14 Euro

 

Untern Baum! Die Bücher der letzten Jahre

 

Hernán Ronsino. Cameron

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FIEBERTRÄUME

Hernán Ronsino zu lesen führt zu einem seltsamen Zustand, wie Träumen und Aufschrecken zugleich. Der argentinische Schriftsteller umkreist das Verdrängte leise, wachsam, bereit zuzuschlagen. Seine jüngste Novelle »Cameron« knüpft nicht wie die ersten Bücher an konkrete Verbrechen der Militärdiktatur 1976 bis 1983 an. Ich-Erzähler Cameron ist eher ein Prototäter, der irgendwo aus der europäischen und südamerikanischen Gewaltgeschichte abgetaucht zu sein scheint. Ein selbstgerechter, chauvinistischer, unzuverlässiger Erzähler. Zwar ist da die elektronische Fußfessel am Holzbein des Geheimdienstschergen. Doch die Villa am Fluss und die beschwingten Abende im Jazzclub künden nicht von konsequenter Aufarbeitung. So beginnen Revenge-Thriller – und irgendwie ist »Cameron« das auch. Aber auf eine ruhige, schräge, literarisch einmalige Art. Gerechtigkeit wird dem Erzähler zur latenten Bedrohung, Aufklärung zum Fiebertraum. »Cameron« ist alles andere als Wohlfühlliteratur, aber ein großes Lesevergnügen. ||
CORNELIA FIEDLER

HERNÁN RONSINO: CAMERON
Aus dem argentinischen Spanisch von Luis Ruby | bilgerverlag, 2020 | 91 Seiten | 19 Euro

 

Bernhard Schlink. Die Enkelin

DIE ANDERE VERGANGENHEIT

Bernhard Schlink schreibt auf sanfte Weise schonungslos. Sein Thema ist der Selbstbetrug, im Alltag, im Zusammenleben, im Angesicht der Liebe. Birgit stirbt überraschend in der Badewanne, Kaspar findet sie und bald darauf ihre Lebensbeichte, die seinen eigenen Blick auf die gemeinsame Welt erschüttert. Er macht sich auf den Weg, die Tochter seiner Frau zu suchen, von der er nichts wusste, findet sie, lernt seine Enkelin kennen und lieben. Um diese Kerngeschichte herum lässt Schlink Systeme kreisen, die Menschen Halt zu geben versuchen: den bigotten alten Sozialismus der DDR, ein völkisch-verbohrtes Landkommunenidyll, die abgründig schillernde Großstadt, den ängstlichen Humanismus der Hauptfigur. Niemand in diesem Gefüge ist perfekt, es wird aber auch niemand aufgrund seiner Schwächen vorschnell verurteilt. Damit wirken Schlinks Figuren auf manchmal schwer erträgliche Weise nahbar. Sie sind ganz von dieser Welt und im Erfolg wie in der Niederlage mit subtiler Eleganz gestaltet. »Die Enkelin« ist ein schönes Buch, aber kein heiteres. ||
RALF DOMBROWSKI

BERNHARD SCHLINK: DIE ENKELIN
Diogenes Verlag, 2021 | 368 Seiten | 25 Euro

 

Richard Bauer. Zeitreise ins alte München: Lehel

HISTORISCHES LEHEL

Früher war es ein Armeleuteviertel, die Gegend zwischen Prinzregenten- und Maximilianstraße. Handwerker, Tagelöhner und Fabrikarbeiter mussten ihr Leben mit kargem Lohn in schäbigen Wohnquartieren fristen. Die an den zahlreichen, als offene Kloaken dienenden Bachläufen und Seitenarmen der Isar gelegenen Mühlen und Hammerwerke boten wenigstens bescheidene Einkünfte für deren Besitzer. Die Flöße, die hier landeten, brachten Bauholz, Brennmaterial, Kalk, landwirtschaftliche Produkte und auch Bier aus Bad Tölz nach München. Und die am Isarufer gelegenen Wirtschaften waren beliebte Ausflugslokale. Trotzdem blieb das Lehel, nach Altmünchner Tradition »Lechel« ausgesprochen, ein »Glasscherbenviertel«. Erst als ab ca. 1880 der Bauboom einsetzte, die meist aus Holz gezimmerten Herbergen abgerissen und Regierungs- und Verwaltungsgebäude, Museen und großbürgerliche Wohnhäuser errichtet wurden, wandelte sich die ehemalige Vorstadt.

Und heute? Hip und teuer. Gentrifizierung und Mieten in schwindelerregender Höhe in bester Innenstadtrandlage. Diese Metamorphose hat Richard Bauer, ehemaliger Leiter des Stadtarchivs, in kenntnisreichen Texten und mit historischen Fotos eindrucksvoll eingefangen. Eine untergegangene Welt wird wieder lebendig, an der sich Nostalgiker und nicht nur Lehel-Bewohner kaum sattsehen können. ||
HANNES S. MACHER

RICHARD BAUER: ZEITREISE INS ALTE MÜNCHEN: LEHEL
Herausgegeben vom Münchner Stadtarchiv
Volk Verlag, 2021 | 216 Seiten | 24,90 Euro

Weitere Bücher für sich und Ihre Lieben finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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