Yishai Sarid macht in ihrem Roman »Siegerin« eine Psychologin zur Hauptfigur, die ihre Arbeit in den Dienst des Militärs stellt.
Yishai Sarid: »Siegerin«
Der Killer in Dir
Abigail ist Psychologin, aber in ihrer Praxis landet nicht das einschlägige Personal an Stadtneurotikern, sondern junge Soldatinnen und Soldaten der israelischen Armee. Abigail ist Militärpsychologin, ihr Job: die feinsinnige und verwöhnte Jugend mental fit für das Schlachtfeld zu machen. »Auf welcher Seite stehen Sie, sagen Sie mal? Auf der Seite des Lebens oder der des Todes?«, wird Abigail gefragt. So genau kann sie das gar nicht beantworten. Abigail neigt nicht zur Introspektion und verfolgt ihre Karrierepläne ohne Umschweife. Sie zeigt sich weder kaltblütig noch besonders einfühlsam. Ihren Dienst versteht sie als Pflicht für ihr Land, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Anders als ihrem Vater, einem überzeugten Psychoanalytiker der alten Freud’schen Schule, ist ihr nicht daran gelegen, die Traumata ihrer Patienten aufzuarbeiten, sie will sie alltagstauglich machen für den Kriegseinsatz. Als Abigails Sohn Schauli zum Dienst herangezogen wird, verändern sich jedoch die Gleichgewichte ihrer fein austarierten Existenz. Dazu trägt auch ihre Liebe zu einer ihrer Patientinnen bei – einer jungen Kampfpilotin. Je mehr Abigail mit dem Töten ihrer Patienten konfrontiert wird, desto mehr gerät sie in Kontakt mit dem eigenen Todestrieb. Es sind mitunter brutale und harte Seiten, die Schriftsteller Yishai Sarid seinen Lesern zumutet. Der Nachfolgeroman »Siegerin« seines fulminanten Vorgängerwerkes »Monster« ist um einiges undurchdringlicher und rätselhafter geraten. Sarid ist kein Vertreter einer »engagierten Literatur«, die sich ihres moralischen Standpunktes gewiss ist. Und so besteht sein großes schriftstellerisches Vermögen gerade darin, auch bei seinen Lesern vermeintlich felsenfeste Überzeugungen systematisch ins Wanken zu bringen. ||
YISHAI SARID: SIEGERIN
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Kein & Aber, 2021 | 256 Seiten | 22 Euro
Lesen Sie hier auch Chris Schinkes Rezension zu Yishai Sarids »Monster«
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