Heimkino-Balsam für garstige Corona-Tage und -Nächte.

Wachen oder träumen wir?

Heimkino-Tipp #1: Rollerball

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von Chris Schinke
In einer einst gar nicht allzufernen Zukunft (im Film da Jahr 2018) haben anstelle
von Nationalstaaten große Korporationen das Sagen und veranstalten zur Volksbelustigung Blutspiele, um den Systemerhalt zu sichern. Rollerball heißt das pervertierte Game, in dem sich jene hervortun, die mit möglichst viel Finesse, aber auch mit maximal roher Gewalt ihren Gegner auf dem Rennbahnrund in die Knie zwingen.

Jonathan E. (James Caan) ist Primus der Brotund-Spiele-Variante. Den Konzernbossen wird der Superstarlangsam ein bisschen zu erfolgreich, daher soll er zurücktreten. Doch der Publikumsliebling weigert sich und aktiviertangesichts der anstehenden Finalspiele seine letzten Reserven. Norman Jewisons 1975 erschienener »Rollerball« ist gleichermaßen Mediensatire und Science-Fiction-Spektakel, dessenbeißende Gesellschaftskritik im Jahr 2020 fast noch zielgerichteter scheint als im Erscheinungsjahr. Zwar ist im Film mittlerweile Frieden in die Weltgesellschaft eingekehrt, die Souveränität der globalen Player speist sich jedoch aus einer allgemeinen Bewusstseinserschlaffung. Dass »Rollerball« dabei nicht zum kapitalismuskritischen Einerlei verflacht, verdankt sich Jewisons filmischem Geschick. Kongenial inszeniert er an der Seite seines Kameramanns Douglas Slocombe ein präzise getaktetes Todes-Pinball, dessen genaue Spielregeln mutmaßlich nur der Cutter Antony Gibbs nachvollziehen konnte. Erst an seinem Schneidetisch ordnete sich der wilde Gladiatorenkampf zu einem sinnvollen Ganzen. Ein hübscher Clou in Jewisons Zukunftssport: das Weltengedächtnis des Supercomputers, der unser aller Geschick verwaltet, ist selbst von höchst unzuverlässiger, nachgerade menschlicher Natur – nebenbei gehen in seiner Speicherbank schon mal die Informationen eines ganzen Erdenjahrs verloren.

Seine Heimat hat der Rechner im Film übrigens im Münchner BMW-Gebäude. Dort und im Olympiapark sowie entlang der Umrisse und Vektoren des gerade erst entstandenen Olympischen Dorfs ließ sich Jewisons Kreativabteilung, bei aller Dystopie von einer urbanen Architektur inspirieren, die noch heute davon erzählt, dass es tatsächlich einmal Menschen gab, die an die Zukunft geglaubt haben. ||

ROLLERBALL
USA 1975 | Regie: Norman Jewison | Mit: James Caan,John Houseman u. a. | 129 Minuten | Auf DVD, Blu-Ray und erstmals als 4K UHD bei Capelight Pictures erhältlich

Weitere Tipps fürs Heimkino

Heimkino-Tipp #2: Der wilde Planet

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von Matthias Pfeiffer
Sicher gab es 1973 schontechnisch perfektere Animationsfilmeals »Der wilde Planet« (auch bekannt als»Der fantastische Planet«). Aber nur wenige, die einen derartigen psychedelischen Sog erschaffen haben. Und da sucht das Werk von René Laloux und Roland Topor noch heute seinesgleichen. Die Geschichte des Aufbegehrens der Menschenrasse Om gegen das riesenhafte Unterdrückervolk Draag geht weit über ein bloßes Science Fiction-Märchen hinaus. Mehr als die Handlung lässt einen der schier endlose Ideenreichtum sprachlos zurück, mit dem der Planet Ygam, sowie seine bizarre Flora und Fauna in Szene gesetzt sind. Der aus heutiger Sicht starre Animationsstil unterstreicht dabei nur noch die surreale Wirkung. Für diese geballte Ladung an Weltraum-Halluzinationen gab es in Cannes den Spezial-Preis der Jury. Anhänger außerweltlichen Filmgenusses kommen also an »Der wilde Planet« nicht vorbei. ||

DER WILDE PLANET
Frankreich 1973 | Regie: René Laloux | 71 Minuten
Ab 27. Mai bei MUBI

 

Heimkino-Tipp #3: Cats

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von Sofia Glasl

Tom Hoopers Musicalverfilmung »Cats« ist wie Las Vegas: Logische Maßstäbe greifen hier nicht mehr, aber das macht nichts. Sie ist ein bunt blinkendes Spektakel ohne Handlung, eine Revue aus Cancan tanzenden Kakerlaken und räudig singenden Straßenkatzen, berauschend und abstoßend zugleich. Einerseits bröckelt die unsägliche Firlefanz-Fassade aus zusammengeschusterter Bildbearbeitung und schiefem Konzept vor den Augen der Zuschauer, andererseits hat genau das fabelhaft trashige Effekte von tragikomischer Schönheit: digitale Schnurrbarthaare, die wie Snapchatfilter vor den Gesichtern der Schauspieler wabern, Katzen, die über dem Geschehen zu schweben scheinen oder mit opponierbarem Daumen an den Pfoten Essbesteck halten.

Wenn Judi Dench als graue Eminenz Old Deuteronomy plötzlich einen Pelzmantel auszieht, wähnt man sich sogar kurz in einem kannibalistischen Horrorfilm, doch entpuppt sich die zweite Haut als grotesker Flitter. Doch fortan steht die unausgesprochene Frage im Raum, was John Waters, der ungekrönte König des Trashfilms und Regisseur des mit »Cats« scheinverwandten Musicals »Hairspray« hierzu sagen würde. Kombiniert mit bizarren Choreografien, die weniger an Katzen als an akrobatischen Ausdruckstanz erinnern, entwickelt die sagenhafte Dichte an technischen Absurditäten einen beinahe psychedelischen Sog, in dem man sich mit
ungläubig juchzendem Staunen verlieren kann. Taucht man aus ihm auf, ist nicht leicht zu erkennen, ob man wacht oder träumt, doch es bleibt das Gefühl, etwas Gewaltigem beigewohnt zu haben. ||

CATS
USA, Großbritannien 2019, Regie: Tom Hooper | Mit: Judi Dench,Idris Elba, Ian McKellen, Jennifer Hudson | 110 Minuten | Universal Films, ab 14.5. digital verfügbar, ab 28.5. auf DVD und Blu-Ray

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