Heimkino-Tipps für Quarantäne-Tage daheim. Weitere Streaming-Ratschläge gibt es in der aktuellen Ausgabe.

»Der ganz normale Wahnsinn«

Heimkino

Udo Kier mit Schurkenauftrag in »Bacurau« © Victor Jucá / Cinemascopio

Heimkino-Tipp #1: »Bacurau«

von Matthias Pfeiffer
Bacurau ist ein Dorf mitten im brasilianischen Nirgendwo, abgeschnitten von der Wasserversorgung, unter Druck gesetzt von einem korrupten Politiker. Die alte Heimat von Domingas (Sônia Braga), in die sie zurückkehrt, ist auf den ersten Blick nicht einladend. Dafür herrscht in der Dorfgemeinschaft ein fast schon utopischer Zusammenhalt. Doch langsam spitzt sich die Lage zu: Der Handy-Empfang versagt, das Dorf verschwindet von den digitalen Landkarten und bald lassen die Ersten ihr Leben. Bacurau rüstet sich also zum Kampf. Kleber Mendonça Filho und Juliano Dornelles erschufen mit diesem Film einen staubtrockenen und blutigen Neo-Western, der sich trotz seiner teils drastischen Gewalt nie in bloßem Schauwert oder Klischees verliert. »Bacurau« funktioniert als hochspannender Thriller und gleichzeitig als bitteres Zerrbild der politischen Zustände Brasiliens. In Cannes gab es dafür 2019 den Jury-Preis, in der deutschen Kino-Landschaft suchte man ihn trotzdem vergebens. Dabei lohnt er sich schon für den herrlichen Schurken-Auftritt von Udo Kier. ||

BACURAU
Brasilien, Frankreich 2019 | Regie: Kleber Mendonça Filho, Juliano Dornelles | Mit: Sônia Braga, Udo Kier u. a. | 132 Minuten
bis 17. April auf MUBI

 

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Heimkino-Tipp #2: »Im Angesicht des Verbrechens«

von Thomas Lassonczyk
Dominik Graf ist ein vom Film Besessener, ein Perfektionist, ein Visionär wie es ihn seit Rainer Werner Fassbinder nicht mehr gab. Sein Großstadtkrimi »Im Angesicht des Verbrechens« hat mit »Berlin Alexanderplatz« nicht nur den Schauplatz, den Millionenmetropolenmoloch Berlin gemein, sondern auch die kompromisslose, aufwendige und auch teure (zehn Millionen Budget sind für deutsche Verhältnisse enorm) Umsetzung. Mit seiner epischen Serie um ein Polizistenpaar (Max Riemelt & Ronald Zehrfeld), das in die finsteren Machenschaften der allmächtigen Russenmafia verstrickt wird, kreiert Graf nicht nur grandioses Erzählkino, gemeinsam mit seinem Drehbuchautor Rolf Basedow gelingt dem Regisseur eine bis ins kleinste Detail stimmige Milieuschilderung, die im deutschen Fernsehen auf diese Art und Weise noch nie zu sehen war. »Im Angesichts des Verbrechens« handelt von Prostitution und Korruption, von Zigarettenschmuggel und Mädchenhandel, begleitet vielschichtige wie glaubwürdige Charaktere in zahlreichen Nebenhandlungen und überrascht immer wieder mit inszenatorischen Finessen, wie etwa einer großartig choreografierten Geburtstagsfeier-Sequenz im »Odessa«, dem Lokal des Paten Mischa, von mehr als 20 (!) Minuten Länge. Mit seiner Version von Coppolas »Der Pate« konnte Graf vor zehn Jahren den Beweis antreten, dass auch in Deutschland Serien-Produktion auf höchstem Niveau und bester Qualität machbar ist. ||

IM ANGESICHT DES VERBRECHENS
Deutschland, 2010 | Regie: Dominik Graf | Mit: Max Riemelt, Ronald Zehrfeld, Marie Bäumer | Länge: 10 Episoden à
50 Minuten | auf Netflix

 

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Heimkino-Tipp #3: »Der Pass«

von Christiane Pfau
Es muss nicht immer Skandinavien sein, auch an der bayerisch-österreichischen Grenze laufen Serienmörder herum. Auf die Jagd nach einem solchen gehen von deutscher Seite die mädchenhaft-nassforsche Ellie Stocker (Julia Jentsch), und für Österreich schleppt sich Gedeon Winter wie ein angeschossener Hirsch (Nicholas Ofczarek) widerwillig ins Berchtesgadener Land. Acht Folgen braucht das schräge Duo, bis es den kreativen, sehr wahnsinnigen Übeltäter schnappt. Gregor Ansbach (Franz Hartwig) ist ein pedantischer Kontrollfreak, der den Ermittlern gefährlich nahe kommt. Natürlich denkt man an »Die Brücke«, natürlich auch ab und zu an den legendären Kommissar Kottan, aber das schmälert das schaurige Vergnügen nicht: Man sieht viel Schnee und man erinnert sich, wie man genau in dieser Region, wo das Dämmerlicht so seltsam leuchtet, schon gefroren hat. Sofa, Wolldecke, Rotwein und Ofczarek satt: Das reicht sehr gut für ein paar Abende. ||

DER PASS
Deutschland, Österreich, 2018 | EA: 2019 | Regie: Cyrill Boss, Philipp Stennert | Mit: Julia Jentsch, Nicholas Ofczarek u. a.
in der ZDF-Mediathek verfügbar

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