© Andreas Pohlmann

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Eigentlich ist die Kündigung von Arbeitsverträgen ein ganz normaler Vorgang. Auch an einem Theater. Auch dass Regisseure ihre Arbeit nicht beenden, kommt immer mal vor. Wenn aber drei Schauspielerinnen gleichzeitig kündigen und ein Regisseur hinschmeißt, und das an den viel diskutierten Münchner Kammerspielen, dann schlagen die Wellen hoch.

Die SZ widmet dem Zustand des Theaters eine ganze Seite mit drei Beiträgen. Festbeißen tut sich die Öffentlichkeit aber nur an Christine Dössels Artikel »Jammerspiele«, in dem sie ausführlich den Verlust von Schauspielkunst und die Unterforderung von Ensemble und Publikum durch disparate Diskursformate kritisiert. Was ironischerweise zur Folge hat, dass die Verkaufszahlen an der Theaterkasse in die Höhe schnellen. Jetzt wollen sich alle davon überzeugen, was für einen Mist die Kammerspiele machen.

Das Theater seinerseits reagiert mit der Einladung zu einer Podiumsdiskussion, damit auch das Publikum mitreden kann. Und das kommt in Scharen, aber seltsam, den Saal füllt in der Mehrzahl die Generation 50plus. Und das in einem Theater, das seit Beginn der Intendanz Lilienthal in besonderem Maße ein junges Publikum umwirbt und anzieht.

In der Diskussion und dem folgenden Publikumsgespräch dann nicht viel Neues. Christine Dössel wiederholt ihre Kritik und verwahrt sich vehement dagegen, eine Kampagne gegen die Kammerspiele losgetreten zu haben. Annette Paulmann will trotz penetranter Nachfrage partout keine Interna über den Weggang der Kolleginnen und Gosselins ausplaudern und betont ausdrücklich den Zusammenhalt im Ensemble: »Wir machen hier keinen Unterschied zwischen Sänger, Tänzer, Performer oder Schauspieler. Wir sind die Truppe.« Abonnenten zeigen Verständnis für eine Neuausrichtung, möchten aber gerne mal wieder richtige Stücke sehen, mit Schauspielern, die Figuren verkörpern.

Lilienthal zeigt sich unerschütterlich überzeugt von der politischen Grundierung seines Theaters, die sich darin manifestiert, dass einmal pro Woche in der Straße mit den teuersten Mieten der Republik das Welcome-Café für Flüchtlinge stattfindet. Er bezeichnet sich als kleines Trüffelschwein, das verstörende Menschen ausgräbt, gibt aber auch zu, dass er schon Regisseure und Gruppen entdeckt habe, die sich nicht durchsetzen konnten und dass das eine oder andere Kollektiv auch mal danebengehauen habe. Er sieht die Kammerspiele »auf einem harten, ruppigen Weg«. Gegen Ende der Diskussion meint Dössel: »Hey, das Experiment ist gescheitert.« Lilienthal: »Das Experiment fängt erst an.«

Viele Kammerspielebesucher könnten sich vielleicht mit der neuen Linie anfreunden, die da heißt: Öffnung in Formate des freien Theaters. Schließlich haben Frank Baumbauer und Johan Simons das auch schon gemacht, halt nicht so absolut. Dazu müsste sich die Qualität der Experimente, die die Kammerspiele auf die Bühne bringen, allerdings gehörig verbessern. Renommierte Performancekollektive funktionieren, weil eine Gruppe von Menschen gemeinsam einen künstlerischen Konsens erarbeitet, der Gerüst für ihre inhaltliche und ästhetische Auseinandersetzung mit Themen ist. Das ist ein ziemlich demokratischer Entstehungsprozess, aber auch ein in sich geschlossener. Der offensichtlich nicht funktioniert, wenn ein Kollektiv sein Gerüst über ein Ensemble stülpen soll. Anders sind die enttäuschenden Arbeiten von She She Pop und Gob Squad an den Kammerspielen nicht zu erklären. Der aber funktionieren kann, wie »Point of no return« beweist – eine kluge, witzige Auseinandersetzung mit Terror und Angst und der Metaebene Theater contra Performance.

Vielleicht ist das der Weg. Das Ensemble der Kammerspiele entwickelt gemeinsam mit Regisseuren eine eigene Performanceästhetik. Das wäre eine andere Qualität als vorher, aber es wäre eine Qualität. Dann muss man das Ensemble aber auch als freie Gruppe arbeiten und es selbst entscheiden lassen, mit wem es Projekte entwickeln möchte. Was einen Intendanten letztendlich überflüssig machen würde.

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