Zwei neue Stücke von Gaetano Posterino setzen sich mit Fragen auseinander, die aktuell ganz oben auf der Agenda stehen: Umweltzerstörung und Gendergrenzen.
Spitzenschuhe in der freien Szene? Ein Tütü im Wald? An der Isar bemerkte Gaetano Posterino die Unmengen an Plastikmüll. Schwäne bauen sogar ihre Nester damit. Auch in Amsterdam. Das Problem ist überall, unausweichlich, man kann es nicht verdrängen. Und weil ihn das Thema umtreibt, zeigt er in seinem neuen Stück »Mondo Paradiso«, wie der Schwan stirbt: am Amazonas.
Ende März ist Posterino mit zwei Tänzerinnen und zwei Tänzern mitten in den Proben. Er bringt noch rasch eine Plastiktüte herbei. Der Durchlauf beginnt mit repetitiven Klavierklängen, denen exotische und bedrohliche Färbungen zuwachsen. Die Plastiktüten ziehen sich die Tanzenden später über den Kopf, kämpfen mit so erschwertem Atem weiter. Wie die Tiere. Der Choreograf will starke Bilder schaffen, die im Kopf bleiben. Für das Sterben. Für die Zerstörung und Verschmutzung des Paradieses. »Auf den Seychellen – denkt man – sieht man Schildkröten«, erzählt er von einem Aufenthalt dort vor zwei Jahren. »Man sieht auf so einem Atoll aber nur Plastikflaschen.« Und das Ballett? Wenn bei Posterino Spitzenschuhe zum Einsatz kommen, dann gilt: »Die Bühne ist keine schöne Statue.«
Gaetano Posterino ist als Tänzer und Choreograf viel herumgekommen. Seit 2015 arbeitet er hier und ist Mitglied des Netzwerks Freie Szene München. Ausgebildet wurde der Italiener an der dem National Ballet of Canada angegliederten Schule. Er tanzte in Florenz, war Solist am Teatro San Martin in Buenos Aires, in San Francisco, beim English National Ballet in London und beim Birmingham Royal Ballet, in Luzern und bei der Schweizer Ventura Dance Company sowie beim Peter Schaufuss Balletten. Lange war er erster Solist beim Hessischen Staatsballett Wiesbaden, für das er dann auch als Hauschoreograf tätig war (zuletzt auch für das Augsburg Ballett). 60 Werke hat er für internationale Kompanien bisher geschaffen.
Spitzentanz und Neoklassik sind die Basis von Posterinos Tanzästhetik. Bei der Beobachtung der Probe wird deutlich, wie gern er Bodenfiguren einsetzt. In seinem »versatilen Stil« greift er auch zu modernem Bewegungsvokabular, Contemporary-Elementen oder zu Mitteln des Tanztheaters. In »Pink and Blue« z. B. sind zu einer Tarantella vier Stühle mit von der Partie. Bei diesem Stück spielt er mit seinem Quartett Beziehungsmöglichkeiten zwischen den Geschlechtern durch. Mit Pathos wohl. Und mit Präzision. Wie bei einem Männerduett zu Fado-Gesang ein linker Fuß das rechte Bein des Gegenübers hinaufstreicht, das arbeitet Posterino höchst genau. Und wenn der Choreograf sich selbst, korrigierend, in die Passage einschaltet, wo es gilt aus einem Ziehen und Fallen herauszugleiten, können die Augen kaum folgen, wie blitzschnell und präzise Posterino herausschwingt und dreht. ||
POSTERINO DANCE COMPANY: »MONDO PARADISO« & »PINK AND BLUE«
HochX| Entenbachstr. 37 | 25.–27. April, 20 Uhr | Tickets: 089 90155102
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