Seit ihrem Debüt bei Radikal jung 2015 hat Nora Abdel-Maksoud eine steile Karriere gemacht. Nun eröffnet sie das Festival mit der Klassen-Komödie »Café Populaire«.
Schon zum dritten Mal in Folge sind die Frauen beim Festival Radikal jung in der Überzahl. Diesmal sogar besonders deutlich. Da liegt es nahe, dass eine Regisseurin die Eröffnungspremiere im Großen Haus übernimmt. In »Café Populaire« erweckt Nora Abdel-Maksoud den totgesagten Begriff »Klasse« wieder zum Leben und entlarvt mit beißendem Witz unsere sozialliberalen Verblendungen und Selbsttäuschungen. »Café Populaire« führt in eine Kleinstadt mit dem sprechenden Namen »Blinden«. Hier treffen wir die Bildungsbürgerin und Hospizclownin Svenja, die altlinke Dame Püppi und Aram, einen Vertreter des »Dienstleistungsproletariats«, der auch bei Svenja putzt und mit ihr um die Übernahme des Gasthauses »Zur Goldenen Möwe« konkurriert. In der hyperkorrekten Svenja haust eine fi ese innere Stimme namens »der Don«, ihr hässliches Alter Ego, das Unterschichtler, Wurstesser und »Frauentausch«-Gucker verachtet und sich immer hemmungs- und schamloser in den Streit einmischt.
Wie tief wir das System der sozialen Kategorisierungen verinnerlicht haben, hat die Bourdieu-Leserin Abdel-Maksoud bei sich selbst beobachtet. In der Inszenierung des Züricher Theaters am Neumarkt demonstriert sie, wie das Distinktionsmittel des »guten« Geschmacks knallhart Grenzen absteckt, wie wenig durchlässig die Schichten sind. Der Begriff »Klasse«, meint sie, »riecht streng nach altsozialistischer Bergbauromantik«. Dabei bestimmen Klassenunterschiede unsere alltägliche Realität. Sie entscheiden »über die soziale Stellung in der Gesellschaft und über den jeweiligen Habitus, der uns und allen andern klarmacht, wohin wir gehören.« Das Wort zu tilgen entschärfe und verwische die Wahrnehmung. »Wenn man das Ganze nicht mehr benennen kann, wird es natürlich schwieriger, gegen diese Unterschiede anzukämpfen.«
Begonnen hat die 35-Jährige als Schauspielerin. Aus Frustration über weibliche Rollenklischees wechselte sie zur Regie, entstand ihr erstes Stück »Hunting von Trier«, eine Persiflage auf Geschlechterstereotypen. Als die in München geborene und zwischenzeitlich nach Berlin abgewanderte Schauspielerin, Dramatikerin und Regisseurin 2015 mit ihrer erfrischend überdrehten und herrlich komischen Kunstbetriebssatire »Kings«, einer Produktion des Ballhaus Naunynstraße, zum ersten Mal zu Radikal jung eingeladen wurde, war dies für sie schlicht »sensationell«. Damals kannte sie noch kaum jemand. Die Einladung wurde zu einem »Türöffner« für sie. »Dieses Festival«, erklärt sie, »hat eine große Strahlkraft im Theaterbetrieb.« Im Anschluss holte Christian Stückl sie als Gastregisseurin ans Volkstheater, wo sie in »Sie nannten ihn Tico« zwei liebenswerte Loser auf eine Reise durch eine von sozialer Kälte regierte Republik schickte. 2017 war sie mit ihrer Filmbusinessfarce »The Making of« erneut zu Gast bei Radikal jung. Im selben Jahr wurde Abdel-Maksoud von »Theater heute« zur besten Nachwuchsregisseurin gewählt und mit dem Kurt-HübnerPreis ausgezeichnet.
Ihre Regiearbeiten entstehen aus einem persönlichen Impuls heraus, meist einem Moment der Empörung. Doch Sozialdramen oder politische Pamphletstücke liegen ihr nicht. Nora Abdel-Maksoud macht aus ihrer Empörung über gesellschaftliche Verhältnisse satirische Komödien. Dass die Münchner Tochter einer Schwäbin und eines Tunesiers bei einem Publikumsgespräch nach »Verücktes Blut« einmal gefragt wurde, »Was sagt denn Ihr Vater dazu, wenn Sie auf der Bühne Ihr Kopftuch abnehmen?«, könnte eine Pointe aus einem ihrer Stücke sein Auch in »Café Populaire« darf man wieder viel lachen. Allein wohlig auf Distanz zu gehen, erlaubt der Abend, der wie eine »SZ«-Kritikerin befand, »zwischen schmerzhaft wahr und wahnsinnig komisch« pendelt, den Zuschauern nicht. Abdel-Maksouds Komik zielt mitten hinein ins zeitgenössische liberale Kulturbürgertum. Statt Klassiker zeitgerecht umzumodellieren, schreibt sie ihre Stücke lieber gleich selber – wie mittlerweile viele jüngere Regisseure. Auch Florian Fischer fungiert bei dem Dokutheaterabend »Operation Kamen« über eine Geheimdienstoperation in der Tschecheslowakei als Autor und Regisseur. Anta Helena Recke präsentiert mit »Angstpiece« ein mit Julia*n Meding geschaffenes Stück über deren Agoraphobie.
Die Zeiten, als das Programm von Radikal jung reich war an Schiller- und Shakespeare-Texten, sind vorbei. In der mit 15 Produktionen bislang größten Ausgabe des Festivals greift nur Leonie Böhms »Yung Faust« auf einen Klassiker zurück.Mit ihren in rasantem Tempo vorüberfetzenden Inszenierungen, die oft zu Publikumshits werden, will Nora Abdel-Maksoud »Theater für alle« machen. Als eine neue Form des Volkstheaters werden diese mitunter bezeichnet, und damit ist sie sehr einverstanden. »Ich mag das Wort Volkstheater unglaublich gern.« Entstaubt bedeute es ein Theater, »das Geschichten erzählen will, nahbar und inklusiv ist. Das Spannende an Radikal jung aber«, fügt sie hinzu, »ist ja gerade, dass es zeigt, was derzeit alles an Gleichzeitigkeit stattfi ndet: avantgardistisches, experimentelles, performatives und eben auch Volkstheater.«
Auf dem von großer Diversität geprägten Programm stehen Produktionen von Stadttheatern wie Lucia Bihlers Wiener Adaption von Robert Menasses Roman »Die Hauptstadt« neben Arbeiten von freien Kollektiven wie »The Agency« und Gastspielen aus Frankreich und den USA.Dass sie nun zum dritten Mal zu »Radikal jung« eingeladen wurde, hat Nora Abdel-Maksoud »völlig überrascht«. Türen öffnen braucht ihr heute niemand mehr. Aber sie freut sich sehr darauf, noch einmal dabei zu sein. Weil man auf diesem Festival, wie sie erklärt, so viele neue spannende Gesichter kennenlernen kann und »weil die Atmosphäre einfach weltklasse ist«. ||
RADIKAL JUNG
Volkstheater| 17. April bis 5. Mai| alle Termine | Tickets: 089 5234655
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