Thomas Bernhards »Minetti« feiert im Theater Blaue Maus Premiere mit Gerd Lohmeyer in der Titelrolle.
Was für ein Abstieg. Mit seinen letzten Ersparnissen ist dereinst gefeierte Schauspieler nach Ostende gereist. Nun sitzt er während eines Schneesturms in einer Silvesternacht in einem drittklassigen Hotel. Er wartet auf einen Theaterdirektor, in der Hoffnung, noch einmal Shakespeares Lear spielen zu können und tut, was Thomas Bernhards Figuren am liebsten tun: Er monologisiert, giftet und donnerwettert gegen die Zeit und die Welt, den »Geistesunrat« und den»Stumpfsinn« der Gesellschaft, des Theaterbetriebs und des Publikums.
»Ein Porträt des Künstlers als alter Mann« nannte Bernhard seine Hommage an den legendären Bernhard Minetti im Untertitel, die Alois Maria Heigl im Theater Blaue Maus mit Gerd Lohmeyer in der Titelrolle auf die Bühne bringt. Bernhards Minetti, in dem ein Ignorant und ein Wahnsinniger stecken, ist berauscht von sich und seinem Kunstanspruch, selbstherrlich, jämmerlich einsam, gnadenlos boshaft, närrisch verblendet und verstörend scharfsichtig. »Er ist«, so Lohmeyer, »ein radikaler Schauspieler, der nur für die Kunst lebt und schließlich sich selbst mit seiner Rolle verwechselt.« Im Hotelfoyer begegnet er der Ahnung von einem Leben jenseits der Bühne in Gestalt eines jungen Mädchens. Die anderen Gäste, über die Minetti seine Tiraden ergießt, sind in derBlauen Maus als projizierte Masken von James Ensor präsent. Die Rolle des Stichwortgebers übernimmt als Portier, Hoteldiener und Musiker am Klavier der frühere Resi-Schauspieler Andreas Bittl, der im neuen Münchner »Polizeiruf 110« an der Seite von Verena Altenberger ermitteln wird.
Mit dieser Inszenierung erfüllt sich für Lohmeyer, der vor vielen Jahren als unvergesslicher tyrannischer »Weltverbesserer« in seinem Sessel thronte, ein Herzenswunsch: noch einmal in einem Stück von Bernhard auf der Bühne zu stehen. Thomas Bernhard gehört neben Werner Fritsch und Beckett, wegen dem er »als junger Mann unbedingt zum Theater wollte«, zu den großen literarischen Lieben Lohmeyers. »Er ist ein wunderbarer Sprachkünstler. Seine Texte, in denen die Gedanken in Mäandern und Wiederholungsschleifen ihre Verstörungskraft entfalten, sind ungemein klug und raffiniert gebaut.«
Er versteht das Stück als eine fundamentale Auseinandersetzung mit dem Theater und der Rolle des Schauspielers, die, wie er meint, gerade heute, in Zeiten des Authentizitätswahns auf den Bühnen wieder sehr notwendig sei. Im Gegensatz zu seiner Figur aber genießt der 74-Jährige seine spätenJ ahre. Er hat noch viel vor und will demnächst eine Reihe mit Werner Fritsch-Lesungen und-Aufführungen konzipieren. Das Geld,um sich Theaterprojekte wie »Minetti« leisten zu können, verdient er bei Film und Fernsehen. Bereits letzten November hat er begonnen, mit Heigl an der Inszenierung zu arbeiten, obgleich damals noch gar nicht feststand, wo sie Premiere feiern würde.
Ein Abend »zwischen Philosophie und Clownerei« soll es werden, erklärt er, gescheit, grotesk, komödiantisch und berührend. »Man weiß nie, ob das Telegramm des Theaterdirektors, auf das dieser alte Mann seine letzten Hoffnungen setzt, wirklich existiert.« Natürlich wartet Minetti vergebens. »Am Ende wird er«, so Lohmeyer, »wie Lear an gebrochenem Herzen sterben.« ||
MINETTI
Theater Blaue Maus| Elvirastr. 17a | 11., 12., 18., 19., 22., 25.–27. April| 20 Uhr | 28. April| 18 Uhr | Tickets: 089 182694
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