Uraufführung im Residenztheater: Dantes Jenseits als Spiegel von Pasolinis Diesseits.
Schade, dass man das informative und erhellende Programmheft nicht in Ruhe vor der Aufführung studieren kann. Denn das deutsche Publikum ist überwiegend nicht sehr vertraut mit den Werken der beiden Dichter, die der italienische Autor Federico Bellini in »Eine göttliche Komödie. Dante < > Pasolini« verklammert. Cinéasten kennen Pasolini als systemkritischen Filmemacher, weniger als Poeten. Und wer außer Romanisten hat je die monumentale »Comedia«, die Dante von 1307 bis 1321 schrieb, wirklich gelesen? (Das göttliche Attribut »divina« erhielt sie erst im 16. Jahrhundert.) Dass die Bellini-Uraufführung durch den Regisseur Antonio Latella als letzte Premiere der Amtszeit von Intendant Kušej im Residenztheater stattfand, ist der Dramaturgin Laura Olivi zu verdanken, die schon mehrere Kooperationen mit experimentellen Künstlern aus Italien eingefädelt hat.
Am 1.November 1975 fuhr der schwule Regisseur Pier Paolo Pasolini mit dem Strichjungen Pino Pelosi nachts an den Strand von Ostia. Dort entdeckte man seine Leiche am nächsten Tag mit schlimmsten Misshandlungen, überfahren vom eigenen Auto. Der 17-jährige Pelosi gestand den Mord und saß sieben Jahre in Haft. Danach widerrief er sein Geständnis. Ohnehin war offensichtlich, dass der schmächtige Hänfling nicht allein der Mörder sein konnte, am Tatort fand man DNA-Spuren von fünf Personen. Steckten die Faschisten dahinter? Oder die Politmafia, die Enthüllungen zu den kriminellen Machenschaften der staatlichen Benzingesellschaft ENIf ürchtete? Pasolinis letztes Werk »Petrolio« blieb unvollendet, der Mord bis heute ungeklärt.
Auf der leeren Bühne steht Pasolinis Alfa GT 2000 (Bühne: Giuseppe Stellato) vor der Brandmauer. Zwei gleich gekleidete Männer in Lederjacken (Kostüme: Graziella Pepe) steigen aus, der flüchtige Sex über der Kühlerhaube mündet in eine brutale Schlägerei. Pasolini (Tim Werths) krümmt sich halb bewusstlos am Boden, schreit: »Warum zerbrichst Du mich?« Die Situation wiederholt sich, zwei, drei, vier Mal, aber jedes Mal kommt ein neuer Schläger dazu, alle im gleichen Outfit (Philip Dechamps, Max Gindorff, Nils Strunk, Gunther Eckes, Franz Pätzold). Die sich steigernde Gewaltraserei provozierte bei der Premiere laute Buhs. Zwei Polizisten beschließen in einem komischen, stummen Gebärdendialog, gar nicht hier gewesen zu sein. Im Todesdelirium hört Pasolini die Stimmen der »Göttlichen Komödie«, die er zwei Mal erfolglos umdichten wollte. Dantes Führer durch die Kreise der Hölle und des Fegefeuers war der antike Dichter Vergil, für Pasolini ist es der weise, sprechende Rabe aus seinem Film »Uccellacci e uccellini« (Franz Pätzold mit schwarzem Federkragen). Die Schilderungen der Hölle überlagern sich mit Pasolinis Lebenssituationen, doch wirklich zwingend erscheint die Verknüpfung nie.
Im Purgatorium tritt seine Mutter in den Fokus, als Urbild von Dantes Liebesidol Beatrice, die auch Züge einer Sirene und Hexe annimmt. Im verzweifelten »Vater unser«-Anruf ringt er mit dem Papa um Macht und Zuneigung. Und als jüngerer Bruder Guido, der mit 20 als Partisan starb und Liebling der Eltern blieb, heimst zu Beginn der Bub Bruno Opaçak mit seinem Dribbeltalent Szenenapplaus ein. Regisseur Latella setzt Zeitlupe und Rücklauftechnik ein, mischt willkürlich mit teils abgegriffenen Mitteln Performatives und Narrativ. Eine Telefonzelle – Draht zur Familie – dreht selbsttätig eine Bühnenrunde. Der Alfa führt ein technisches Eigenleben, seine Modellversion wird am Ende fast zärtlich über Pasolinis Körper geschoben. Alle Darsteller sind fast immer präsent, oft nackt, sprechen an Mikros, singen Canzoni wie »Volare«, tanzen zu Heavy-Metal-Rap im Stroboskop-Lichtgewitter. Der nackte, geschundene Pasolini wird am Gliedgepackt und über die Bühne geführt. Aber »Aufhören«-Rufe und Zuschauerflucht reichten nicht zum Premierenskandal, dafür ist das Münchner Publikum zu aufgeschlossen und wohlwollend. Verdienter Applaus für die wagemutigen, überzeugenden Schauspieler. ||
EINE GÖTTLICHE KOMÖDIE. DANTE < > PASOLINI
Residenztheater| 8., 26., 30. April| 19.30 Uhr | 9., 16. Mai
20 Uhr| Tickets: 089 21851940
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