Mit 88 Jahren ist Godard nicht minder wütend als einst. Das zeigt er in seinem neuen Filmessay »Bildbuch«.
Er hat das Kino reformiert, beerdigt und wieder neu zusammengesetzt. Wenn es um den Einfluss Jean-Luc Godards geht, kann man gar nicht weit genug ausholen. Mit seinem neuen Film »Bildbuch« schuf er nun eine vertrackte Collage unserer Vergangenheit und Gegenwart.
Im Endeffekt begibt er sich auf kein neues Terrain. Er verbindet unterschiedlichste Filmausschnitte, Nachrichtenmaterial, Kunst und Musik zu einem flirrenden Essay, der nicht immer Zeit zum Fertigassoziieren lässt. Dieses Konzept kennt man bereits aus mehreren seiner Spätwerke, wie seinem Opus magnum »Geschichte(n) des Kinos«. Lässt man das aber beiseite, ist »Bildbuch« immer noch ein unglaublich faszinierendes Werk. »Vertigo« prallt auf »Die 120 Tage von Sodom«, Scott Walker auf Bach, Tyrannen auf Terroristen. Godard erzählt die Geschichte des Films, der Kunst und letztendlich der modernen Welt. Und mit der ist er alles andere als zufrieden. »Alle wollen Könige sein, aber niemand mehr Faust«, sagt er da aus dem Off. Er legt den Finger in jede Wunde, tritt in jede Richtung, lässt dem Zuschauer aber auch keine Chance, sich selbstzufrieden auf der richtigen Seite zu wähnen. Dazu fordert sein Film zu stark, vieles ist uneindeutig oder erschließt sich erst nach längerem Resümieren. »Bildbuch« ist auf visueller wie auch auf intellektueller Ebene ein nicht zu bändigender Sturm.
Wenn man bedenkt, dass Godard bereits 88 Jahre alt ist, liegt es nahe, dass wir es hier vielleicht mit seinem letzten Werk zu tun haben. Diese Ahnung unterstreicht er selbst am Ende mit einem Hustenanfall aus dem Off. Sollte das wirklich zur traurigen Wahrheit werden, hat er sich selbst mit »Bildbuch« noch mal ein Denkmal errichtet, als einer der revolutionärsten, eigensinnigsten und auch streitbarsten Filmkünstler unserer Zeit. ||
Experimentalfilm | Frankreich 2019
Regie: Jean-Luc Godard | 94 Minuten
Kinostart: 4. April
Trailer
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