Michael Sailstorfer verwandelt im BNKR Zerstörung in Poesie und Reflexion.
Ein Bunker ist eine seltsame Sache: Mit seinen meterdicken Wänden und den verstärkten Decken ist er ein Bollwerk gegen Gefahren aller Art: Kugeln, Bomben, Druckwellen, Gase. Eine gute Sache also. Doch gerade diese Schutzfunktion erinnert an die Gefahr, sei sie vergangen oder zukünftig-hypothetisch. Das gilt auch für den Hochbunker an der Münchner Ungererstraße. Auch wenn man in den oberen Geschossen mittlerweile wohnen kann und auch wenn zu diesem Zweck große Fenster in die Wände geschnitten wurden, es hilft nichts: Der Bunker bleibt Mahnmal und erzeugt ein mulmiges Gefühl.
»Space is the Place« heißt die Ausstellung mit Werken von Michael Sailstorfer, der sich hierfür mit dem Thema Schutz und Entwaffnung befasst hat. Der 40-jährige Wahlberliner ist einer der bekanntesten Künstler Deutschlands. Geboren in Velden bei Landshut, hat er an der Münchner Kunstakademie bei Nikolaus Gerhart und Olaf Metzel studiert und ist nun nach vielen Jahren wieder einmal mit einer Ausstellung vor Ort. Hier werden die Besucher zunächst von einem Metallrohr begrüßt: Zwei Zentimeter dick schlängelt es sich in Augenhöhe durch die Korridore und Räume des Erdgeschosses, endet schließlich in der Mündung eines Gewehrs und entpuppt sich so als überlanger Lauf einer Waffe. So lang, dass die vorn abgefeuerte Kugel am Ende gerade mal noch genug Schwung hat, um ohne fremde Hilfe herauszuplumpsen.
An anderem Ort und zu anderer Zeit hat man Nelken in Gewehrläufe gesteckt, ein blumiges Zeichen der Friedfertigkeit. Die Waffen aber blieben dabei voll funktionstüchtig. Sailstorfer befriedet mit künstlerischen Mitteln, greift formal ein, macht (in dieser eigens für den Ausstellungsort geschaffenen Installation) aus der Schusswaffe eine bessere Spielzeug-Kugelbahn. Obwohl allein der Anblick eines Gewehrs zarte Seelen unangenehm berühren kann, gelingt es Sailstorfer, das Thema mit einer gewissen Leichtigkeit zu behandeln.
Das gilt auch für das Video »Tränen«. Zu sehen ist ein Haus im Spessart, ziegelgedecktes Satteldach, Schornstein, kleine Fenster, unverputzt und offenbar unbewohnt. Dann beginnt es Tränen zu regnen: Riesige blaue Tropfen fallen wie in Zeitlupe vom Himmel – und durchschlagen das Dach, als wäre es aus Pappe. Denn die Tränen sind nichts anderes als getarnte Abrissbirnen, jede einzelne etwa einen Meter hoch und zwei Tonnen schwer. Zwei Tage lang wurden sie von Kränen an Stahlseilen auf das Haus herabgelassen, immer wieder, bis nicht mehr viel übrig war vom Haus im Spessart.
Im fensterlosen Untergeschoss des BNKR wird die Zerstörung auf ganz andere Weise lebendig. Ein Projektor spult geräuschvoll einen 16-mm-Film ab. Man sieht eine Hütte, deren Wände sich bewegen: Sie wabern hin und her, wölben sich nach außen, knicken ein, kehren zurück ins rechte Lot, nur um sich erneut auszudehnen. Es könnte ein Zelt sein, mit dem der Wind sein Spiel treibt. Ist es aber nicht. Es ist eine Wellblechhütte kurz vor der Explosion. Gefilmt wurde mit einer Hochgeschwindigkeitskamera. Die Explosion selbst sieht man nie, sondern nur den gedehnten Bruchteil der Sekunde davor, in der das Material durch die Druckwelle deformiert wird. Im Schnitt wurde die Bewegung so gespiegelt und geloopt, dass es aussieht, als würde die Wellblechhalle pulsieren oder atmen. »Genau in dem Moment, wo sie eigentlich zerstört wird, entsteht etwas Neues, das aussieht wie ein Organ oder Lebewesen«, sagt Sailstorfer.
Die bildhauerische Kraft, die aus den Videos und aus dem eigentlich so grazilen Gewehrlauf spricht, ist erstaunlich. Sailstorfers Umgang mit Raum, mit Ausdehnung und Spannungen ist so intensiv, dass man am Ende doch vergisst, dass man gerade in einem Bunker steht. ||
PACE IS THE PLACE (2/4): MICHAEL SAILSTORFER
BNKR| Ungererstr. 158 |bis 12. April| Sa/So 14–18 Uhr
Eintritt frei | Kostenlose Führungen (Di, Mi, Do) nach
Vereinbarung unter info@bnkr.space
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