»Wir haben alles, nur kein Bauhaus«, könnte der Münchner Stadtmarketing-Slogan im Bauhausjahr 2019 lauten. Die Munich Creative Business Week (MCBW) setzt dagegen ganz auf das Zukunftspotenzial der legendären Reformschule.
Als Station der offiziellen Grand Tour zu den Originalschauplätzen in Alfeld an der Leine, Berlin, Dessau, Frankfurt, Krefeld, Stuttgart oder Weimar bleibt die Bayerische Landeshauptstadt außen vor. Architekturikonen der Moderne reißt man hier lieber ab, als sie zu feiern. Die MCBW versucht Schadensbegrenzung und setzt auf die Zukunft: Bauhaus 4.0 im Industrial-Design und die zeitgenössische Auseinandersetzung mit einer alten Neuen Sammlung.
Wer hier das Bauhaus sucht, wird im Münchner Norden rund um den im Bau befindlichen Bauhausplatz fündig: Max Bill, Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius, Margarete Schütte-Lihotzki und sogar die Frau, die es noch vor Gunta Stölzl zur Meisterin gebracht hat, nämlich die MusikpädagoginGertrud Grunow, sind hier allesamt vertreten – jedoch nur als Namensgeber auf den Straßenschildern. Der Architekturikonen, die im ungeliebtenGeist der klassischen Moderne errichtet wurden, hatsich die Landeshauptstadt schon vor Jahren trotz massiver Proteste der Architektenschaft durch brutalen Abriss entledigt: Das weiße Landesversorgungsamt in der Heßstraße von Hans und Wassily Luckhardt (1957) wurde 1989 für einen Neubau der Hochschule München geschleift, das Schwarze Haus (1963–1970) des Süddeutschen Verlags von Detlev Schreiber musste 2009 der Hofstatt weichen. Konkret bleiben die Bauten der Bayerischen Postbauschule, die Robert Vorhoelzer im Stil der Neuen Sachlichkeit in München errichtet hat. »Die Postbauschule durfte sich selbst Baugenehmigungen ausstellen und konnte sich dadurch der Einflussnahme durch die Nationalsozialisten entziehen«, erklärt Architekt Matthias Castorph, der im Postgebäude von Robert Vorhoelzer und Walther Schmidt am Goetheplatz (1932) gemeinsam mit Marco Götz sein Büro eingerichtet hat.
Von 1920 bis 1933 entstanden 350 Bauhaus-Bauten in bayerischen Dörfern und Gemeinden. Auch im Wohnungsbau waren Vorhoelzer und Schmidt Pioniere: Zeitgleich mit dem Dessauer Bauhausgebäude entstand in der Arnulfstraße das Postfuhramt, eine runde Stahlbetonhalle mit 52 Metern Durchmesser, 58 Türen und einer der ersten automatischen Verteileranlagen, ein Gebäude als funktionale und dennoch expressionistisch geschmückte Maschine. Bei ihrer Versuchssiedlung des Bayerischen Post- und Telegrafenverbandes in der Arnulfstraße (1928–29), haben sie nicht nur unterschiedliche Heizungstechnologien und Dachformen ausprobiert. Dort kam unter Mitwirkung von Hanna Löv die »Münchner Küche« zum Einsatz, die mit ihrem visuellen Kontakt zum Wohnraum aus heutiger Sicht zeitgemäßer ist als die viel bekanntere »Frankfurter Küche« von Margarete Schütte-Lihotzki, die die Hausfrau zwar ergonomisch unterstützt, aber an ihrem funktional optimierten Arbeitsplatz vom Familienleben im Wohnzimmer isoliert. 1934, ein Jahr nach der Schließung des Bauhauses in Berlin, wurde auch die bayerische Postbauschule von den Nationalsozialisten aufgelöst. Vorhölzer ging 1939 nach Istanbul und wurde dort Leiter der Architekturabteilung an der Akademie der schönen Künste und Nachfolger des verstorbenen Bruno Taut.
Versteckte Moderne
»In München ist die Moderne oft hinter traditionellen Fassaden versteckt, dafür ist sie städtebaulich bis heute überzeugend«, meintCastorph, der auch Theodor Fischers Ledigenheim im Münchner Westend, das fast zeitgleich mit dem Dessauer Bauhausgebäudeentstand, schrittweise saniert. Von außen ist dem schlichten Ziegelbau nicht anzusehen, dass der Rohbau mit industriellen Fertigteilen errichtet wurde. Und mit der Siedlung Alte Heide hat Fischer in der Bauhauszeit von 1919 bis 1928 einen Gartenwohnpark aus Zeilenbauten geschaffen, der die Fehler der weißen Moderne vermeidet: Anstelle abweisender Rückseiten und fensterloser Stirnseiten ist jedes Haus als Einheit ablesbar mit schönen Gärten und attraktiven öffentlichen Räumen im Quartier anstelle anonymer Straßenfluchten.
München kann aber auch fast unbekannte Architekturikonen der Moderne vorweisen, die direkt aus Dessau importiert wurden: Der Flugzeugingenieur Hugo Junkers hatte dort als erster anstelle von Holz Ganzmetallkonstruktionen für Flugzeuge entwickelt. Für den Bau weit spannender Hallen hatte er 1924 das Prinzip der Zollinger Bauweise aus kurzen Holzstäben auf Metall übertragen: die Junkers Stahllamellen.Für Walter Gropius,der mitsamt seinem Bauhaus von Junkers nach Dessau geholt wurde, war dieses Baukastensystem aus normierten Lamellen wegen seines hohen Vorfertigungsgrades, der einfachen Montage und großen Robustheit ein Sinnbild für die Schönheit der Technik. Auf dem ehemaligen Militärflughafen Oberschleißheim sind noch zwei dieser Hangars mit Tonnendächern erhalten, das Flugleitungsgebäude aus dem Jahr 1934 von Robert Vorhoelzer wurde 2007 abgebrochen.
Spätes Licht der Bauhaus-Ideen
Das Architekturmuseum der TU Münchensucht im Bauhausjahr dagegen die kritische Auseinandersetzungmitder nächsten Generation des industriellen Bauens: Mit Bauhaus 2.0 könnte man im heutigen Neusprech die 32 Jahre von 1950 bis 1982 bezeichnen, in denen die Neue Heimat als der größte nichtstaatliche Wohnungsbaukonzern Europas 400 000 Wohnungen errichtet hat. München-Neuperlach war ursprünglich für 80 000 Bewohner geplant.Die über viele Jahre lang diskreditierte Trabantenstadt wird wie andere Plattenbausiedlungen in Ost- und Westdeutschland von der jungen Generation und Kuratorin Hilde Strobel neubewertet. Was können wir heute von diesem sozialdemokratischen Kraftakt angesichts des eklatanten Mangels an bezahlbarem Wohnraum lernen? »Reflex Bauhaus« heißt die Ausstellung inder Neuen Sammlung. Durch die Auseinandersetzung mit der Position von fünf zeitgenössischen Künstlern und Architekten versucht Direktorin Angelika Nollert durch den Rahmen einer Rauminstallation von Thilo Schulz einen neuen Blick auf die 40 Originalobjekte der spektakulären hauseigenen Bauhaus-Sammlung zu werfen, die unser heutiges Verständnis von Design maßgeblich geprägt haben.
Boris Kochan setzt dagegen ganz auf dasZukunftspotenzial der Reformschule von Weimar, Dessau und Berlin. Als Präsident des Deutschen Designtagsist er einer der aktivsten Fürsprecher für den Berufsstand der Gestalter: Vor drei Jahren haben sich in diesem Verein zehn unterschiedliche Design-Disziplinen zusammengeschlossen, um mit einer Stimme ihre Anliegen und Visionen der Politik und der Gesellschaft zu kommunizieren. »Bauhaus 4.0« nennt er seine zehnteilige Diskussionsreihe, bei der jeweils eine Designdisziplin in einer anderen Stadt das eigene Potenzial diskutiert. Am 12. März macht er im Rahmen der MCBW in München Station, im Showroom der 2H in Garching wird es inmitten computergesteuerter Bearbeitungsmaschinen um die Schnittstellen zwischen Produkten, Menschen und Medien gehen: Bauhaus 4.0 meets Product & Industrial Design. »Die historischen Details um das Bauhaus interessieren uns dabei weniger. Von der damaligen Zielsetzung können wir aber viel lernen, wenn wir sie auf die heutigen Verhältnisse übertragen«, so Kochan. »Was damals die Industrialisierung war, sind heute die Globalisierung und die Digitalisierung.«
Gestaltung als Echo-Raum
Der Themen-Schwerpunkt der diesjährigen MCBW – Social Design – scheint dagegen weitab vom Bauhaus zu liegen. »Ganz im Gegenteil«, widerspricht Boris Kochan. »Gestaltung ohne eine gesellschaftliche Komponente hat noch nie funktioniert, und sie funktioniert heute erst recht nicht.Gestaltete Objekte weisen immer weit über das hinaus, was man sieht.« Natürlich sind es die Materialfrage und der Herstellungsprozess, der einen entscheidenden Einfluss auf unsere Umwelt hat, vom Plastik in den Weltmeeren bis hin zur Schaffung hochqualifizierter Arbeitsplätze im eigenen Land. »Durch die Kombination von Methoden- und Visualisierungskompetenz sind wir als Designer bestens gerüstet, um auch gesellschaftliche Themen anzugehen, das verbindet uns dann doch wieder mit dem Bauhaus.« Was für Kochan entscheidend ist: »Social Design wird heute von der jungen Generation eingefordert, und die gestaltet schließlich ihre eigene Zukunft.« ||
11. März| 18.30 – 20 Uhr | 16. März
17–18.30 Uhr | Hochschule für Fernsehen und Film München| Bernd-Eichinger-Platz 1
DESIGNKINO presents »Vom Bauen der Zukunft – 100 Jahre Bauhaus«
Vor beinahe hundert Jahren wurde eine radikale künstlerische Utopie in die beschauliche Stadt Weimar hineingeboren: die Bauhaus-Bewegung. Ihre Auswirkungen prägen bis heute unsere Lebenswelt. Vor dem Hintergrund des 100. Bauhaus-Jubiläums erzählt der Dokumentarfilm »Vom Bauen der Zukunft – 100 Jahre Bauhaus« nicht nur Kunst-, sondern auch Zeitgeschichte.
Regie: Niels Bolbrinker, Thomas Tielsch
12. März| 18.30 – 21.30 Uhr | Steelcase AG
Brienner Str. 42
Bauhaus – Role Model for Modern
Company Culture?
Vor 100 Jahren führte Walter Gropius mit der Gründung des Staatlichen Bauhaus Kunst und Handwerk zusammen. Gelebte Vielfalt und interdisziplinäre Zusammenarbeit förderten innovative Ideen. Gropius etablierte auch einen Ort, an dem es einigen Frauen wie Gunta Stölzl und Anni Albers möglich war, mit ihren Textildesigns Geschichte zu schreiben und nachfolgende Generationen junger Designerinnen nachhaltig zu prägen. Susan Lyons, Angelika Nollert und Monika Stadler sprechen über das Bauhaus als Vorbild für moderne Unternehmenskultur.
12. März| 18.30 – 20.30 Uhr | 2H GmbH & Co.
KG| Dieselstr. 16 | 85748 Garching
BAUHAUS 4.0: Zukunft wird aus Design gemacht!
Bauhaus 4.0 meets Product & Industrial Design: Boris Kochan, Christoph Böninger, Irmgard Hesse, Stefan Eckstein, Melanie Kurz u. a. diskutieren anlässlich des Bauhaus-Jubiläums über Schnittstellen zwischen Produkten, Medien und Menschen.
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