Am Beispiel einer Liebe im Gangstermilieu zeigt Jia Zhangkes »Asche ist reines Weiß« die Veränderung seiner Heimat China.
Es ist eine der einprägendsten Szenen dieses Films: Ein Liebespaar geht in einer unberührten Naturlandschaft spazieren. Ein grün bewachsener Vulkan ragt im Hintergrund in den Himmel, es herrschen Ruhe und Harmonie. Dann machen sie sich auf einmal bereit für Schießübungen. »Wer bewaffnet ist, stirbt zuerst«, meint er, während er ihr hilft, einen Schuss in die Stille abzufeuern.
In der Welt dieser Figuren sind Waffen jedoch normal. Er, Bin (Liao Fan), ist Boss eines Gangsterclans in einer heruntergekommenen Bergbauregion. Sein eFreundin Quiao (Zhao Tao) ist dabei mehr als bloß sein Anhängsel. Sie ist eine starke, selbstbewusste Frau, die schon mal »freundschaftliche« Knüffe an die Kollegen verteilt. Die Hauptfiguren in Jia Zhangkes »Asche ist reines Weiß« sind stark gezeichnete Charaktere, jenseits abgenutzter Verbrecherschablonen.
Der Film ist auch bei Weitem kein üblicher Gangsterfilm, sondern ein Spiegel der wirtschaftlichen und kulturellen Veränderung Chinas. Während die Bergarbeiter des Dorfes um ihre Existenz bangen, feiern Bin und seine Genossen rauschende Partys und genießen ein Leben abseits von Norm und Gesetz. Der Wendepunkt kommt, als Quiao und er von einer Bande Straßenrowdys angegriffen werden. Um ihrem Geliebten das Leben zu retten, greift Quiao zu dessen Pistole. Für diese Rettungsaktion landet sie wegen illegalen Waffenbesitzes hinter Gittern. Lieber opfert sie fünf Jahre ihres Lebens, als Bin ans Messer zu liefern. Als sie wieder freikommt, hat sich nicht nur das Land verändert. Auch die Mitglieder der alten Gang sind zerstreut, haben teils hohe Posten inder Industrie angenommen und arbeiten an der Umwälzung des Landes mit.
Auch das Leben von Bin ging weiter. Und die Frau, die ihm dieses gerettet hat, scheint keinen Platz mehr darin zu haben. »Asche ist reines Weiß« zeigt, wie der Fortschritt ein Land gezeichnet hat. Zhangke präsentiertin überwältigenden Einstellungen wuchernde Betonpaläste und eingefallene Arbeitersiedlungen. Dazwischen ein Individuum auf der Suche nach Liebe und einem neuen Weg. Dabei das Schauspiel von Zhao Tao zu bewundern, ist einer der Höhepunkte des Films. Gleichzeitig zeigt sie eine tief gezeichnete und vom Rest der Welt distanzierte Persönlichkeit. Auch wenn der Zuschauer für ihre Lage tiefes Mitgefühl empfindet, bleibt ihm diese Frau seltsam fremd. Ähnlich wie die Welt, aus der sie kommt, in der das Leben außerhalb des Gesetzes gleichbedeutend ist mit Familie und Wohlstand. Aber auch in dieser Welt zählt der Ruhm des Einzelnen dann doch mehr als der Zusammenhalt. ||
ASCHE IST REINES WEISS
China 2018 | Regie: Jia Zhangke | Mit: Zhao Tao u.a.
135 Minuten | Kinostart: 28. Februar
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