Zwei Münchner Institutionen für Angewandte Kunst widmen sich dem gebrannten Ton, dem wahrscheinlich ältesten von der Menschheit entwickelten Werkstoff. Mit dem sich erstaunlich experimentieren lässt.
Töpferei ist international – und zwar schon seit sie vor mehr als 20 000 Jahren an verschiedenen Orten des Globus unabhängig voneinander erfunden wurde. Das dachten sich wohl auch die Galerie Handwerk und der Bayerische Kunstgewerbeverein BKV, die ihre erste Präsentation im Jahr dem Material Keramik widmen: Der BKV zeigt eine Ausstellung von jungen professionellen Kunsthandwerkern aus Tschechien, die mit Keramik und Glas arbeiten, und unter dem Titel »Kiel Keramik« präsentiert die Galerie Handwerk die Klasse für Freie Kunst und Keramik an der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel. Dort treffen sich junge Menschen aus allen Ländernder Welt – aus Korea, Peru, Portugal, Russland oder Frankreich –, um gemeinsam an einer der bekanntesten Ausbildungsstätten für Keramik in Deutschland zu lernen. Unter Anleitung von Professorin Kerstin Abraham, die mit einer Installation aus bemalten vorgefundenen Tellern und plastischen Zeichnungen in München auch eigene Werke präsentiert.
Abrahams Arbeiten basieren auf ihrem 500 Seiten umfassenden Musterbuch, das auf Übermalungen zurückgeht. Sie begann, Fotosin Zeitungen mitweißer Gouache abzudecken und mit schwarzem Edding zu überzeichnen. Dabei war ihr der Bezug zwischen sichtbarer Zeichnung und verschwundenem Bild wichtig. Inzwischen überträgt sie Motive aus ihrem dicken Werk in einer komplexen Methode, die auch Fayencetechniken beinhaltet, auf preiswert ersteigerte Industrieporzellan-Teller und komponiert daraus und mit übermalten Zeitungsseiten Installationen.
Abrahams Ziel in Sachen Ausbildung lautet: Die jungen Menschen sollen eigene künstlerische Ideen entwickeln und sich für die unterschiedliche Wirkung keramischer Mittel sensibilisieren. Das scheint zu gelingen – jedenfalls wenn man die vielfältigen Arbeiten der Studierenden betrachtet, zu denen Gefäße, Plastiken, Installationen, Performances oder Medien zählen.Birgit Saupe zeigt eine 12-teilige Serie von lebensgroßen Hunden, die auf zwei Beinen stehen und keine Vorderläufe haben. Irgendwie unheimlich. Saupe beschäftigt sich inihren Arbeiten immer wieder mit dem Thema der Evolution, dem Verhältnis von Künstlichem und Natürlichem, von Körper und Material. Der Hund symbolisiert hier eine Kreatur, deren Evolution durch Deformation verändert wurde. Deraufrechte Gang irritiert und gibt ihm fast etwas Menschliches. Gleichzeitig reflektiert die skulpturale Ausführung in weißem Porzellan das Thema der traditionellen Porzellanfigur.
Die unbeschreiblich dünn und transparent erscheinenden Gefäße von Hyojung Yun resultieren aus einem Experiment. Die Keramikerin fand ein neues Material, von dem sich die Glasur nach dem Brennen abtrennenlässt. Andere Studierende ließen sich von der Tragfähigkeit des Werkstoffs inspirieren. Annette Herbers entwickelte aus vorgefertigen, modifizierten Ziegeln eine Art Regal. Dorothee Brübach fragte sich für die Performance »Belastungstest«, ob eine Installation mit aus Steinzeug gebrannten Keramikstangen ihr eigenes Gewicht aushalten könne.
Faszination des Nicht-Perfekten
Für die Ausstellung »Quarzsprung – Keramik und Glas aus Tschechien« im BKV wählte die Kuratorin Aneta Koutná 16 junge Gestalter aus unterschiedlichen Regionen Tschechiens aus. Der Begriff »Quarzsprung« benennt die Veränderung von Tiefquarz zu Hochquarz bei genau 573 Grad Celsius: Bei Keramik wie beiGlas verwandelt dieser technologische Prozess etwas Weiches in etwas Stabiles. Bei den beteiligten Keramikern fällt auf, dass sie zwar häufig herkömmlichen Formen verpflichtet sind – aber dennoch ausgesprochen experimentell damit hantieren.
Martina Žílová Vasen könnten mit ihrer eleganten, schlank bauchigen Form zwar fast aus den 50er Jahren stammen. Aber sie sind zum einen aus Porzellan gefertigt, zum anderen erheben sie eine Art Makel zum ästhetischen Prinzip. Die unregelmäßigen zittrigen Ringe in der Oberfläche entstehen bei unregelmäßigem Eingießen des flüssigen Porzellans in die Gipsform – das führt bei industrieller Fertigung zu Ausschussware. Im exakt kalkulierten künstlerischen HandarbeitsProzess unterbricht die Keramikerin das Eingießen der flüssigen Masse immer wieder absichtlich, um genau diesen Effekt zu erzielen. So werden diese furchigen, etwas an Craquelé erinnernden Linien zum charakteristischen Merkmal.
Die verformten Kerzenständer von Martina Hudecková spielen ebenfalls mit einem Moment des Nicht-Perfekten. Dabei symbolisiert die Künstlerin mit ihren verbogenen Objekten den Prozess der Keramik-Herstellung. Sie sagt: »Keramikobjekte sind lebendig, erst schmelzen sie, dann kühlen sie ab. Sie sind Aufzeichnungen der im Ofen stattfindenden Umwandlungen.« Mit ihren Kerzenständern, »deren Form die Aspekte des Zufalls und der Verformung nutzen«, macht sie einen Moment des Labilen sichtbar – indem sie ihn verfestigt.
Auch Lenka Záhorková, die sich mit Markéta Kalivodová und Lucie Vostalová zum Kollektiv Nalejto zusammengeschlossen hat, experimentiert. Rissige, weiße Gebilde erinnern an ausgetrocknete Böden im regenfreien Hochsommer. Hergestellt wurden die flachen Schalen, in dem Porzellanstaub in eine Schamottform gefüllt und gebrannt wurde. Während sich – Inspiration der Künstlerin – die meisten festen Stoffe im Kontakt mit hohen Temperaturen in losen Staub verwandeln,wird Porzellanstaub dabei zu einer festen Struktur.
Spätestens auf den zweiten Blick irritieren die Alltagsgegenstände von Simona Janišová. Ihre Vasen, Schalen, Tabletts oder Dosen zitieren archetypische Formen und traditionelle Dekore – wirken aber beim genauen Hinschauen anders:exakter, wie maschinell gefertigt. Das Geheimnis dieser harten, dünnen Steinzeug-Gefäße: Sie wurden mit Hilfe digitaler Techniken hergestellt.
Mit einem völlig freien, abstrakten und farbigen Glasurauftrag wird das für manch einen bieder anmutende traditionelle Erscheinungsbild ebenso gebrochen wie die perfekte Erscheinung. Janišová nennt ihre »Anachronik.Kollektion« eine Art »Liebesbrief an meine Vorgänger und ihre Keramikarbeiten«. Die beiden Ausstellungen könnte man ähnlich begreifen. In jedem Fall bieten sie aber einen anschaulichen interessanten Überblick über zeitgenössische Tendenzen in der Welt der künstlerischen Keramik. ||
KIELKERAMIK
Galerie Handwerk | Max-Joseph-Str. 4, Eingang Ottostraße | bis 16. Februar
Di, Mi, Fr 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, Sa 10–13 Uhr | Führung: jeden Do, 18.30 Uhr | Eintritt frei
QUARZSPRUNG – KERAMIK UND GLAS AUS TSCHECHIEN
Bayerischer Kunstgewerbeverein | Pacellistraße 8 | bis 23. Februar| Mo bis Sa 10–18 Uhr
Eintritt frei
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