Die Jüdischen Filmtage feiern ihr 10. Jubiläum.
Vom 17.1. bis zum 27.2. finden im Jüdischen Gemeindezentrum am Jakobsplatz die 10. Jüdischen Filmtage in München statt. Laut Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, steht in dieser Ausgabe »die Suche nach dem Verlorenen, Zerstreuten oder dem Zerstörten, aber auch dem Wiederentdeckten, Bewahrten bzw. Rekonstruierten im Mittelpunkt«.
Den Auftakt (Do., 17.1., 19 Uhr) der Filmreihe, die traditionell das Jahresprogramm der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern einleitet, macht der Dokumentarfilm »Die Stille schreit« des Filmemachers Josef Pröll. Er erzählt die Geschichte der jüdischen Familien Friedmann und Oberdorfer aus Augsburg. Das Ehepaar Oberdorfer wurde von den Nazis deportiert und ermordet, die Friedmanns kamen ihrer Deportation zuvor und nahmen sich gemeinsam mit Leidensgefährten das Leben. Die in den USA geborene Enkelin Miriam Friedmann kehrt schließlich in die Heimatstadt ihrer Großeltern zurück, wo sie der Familiengeschichte nachgeht und Entschädigung für den im Zuge der »Arisierung« enteigneten Familienbesitz einfordert. Die Dokumentation des Regisseurs Josef Pröll ist ein bewegendes filmisches Zeugnis, das mithilfe von Originaldokumenten, eindringlichen biografischen Schilderungen und filmischen Impressionen der Schauplätze zeigt, dass geschehenes Unrecht nicht vergessen werden darf und die Frage nach Entschädigungen für enteigneten jüdischen Besitz nach wie vor ganz oben auf die politische Agenda gehören.
Eine kleine Sensation und Entdeckung ist der Dokumentarfilm »Schwarzer Honig. Leben & Werk von Abraham Sutzkever« (»Black Honey. The Life & Poetry of Avraham Sutskever«), Regie: Uri Barbash. Er widmet sich dem Leben des Dichters und Partisanen Abraham Sutzkever, dem es wie keinem Zweiten gelang, die Erfahrungen des Ghettolebens in Poesie zu fassen. Sutzkever zählt zu den bedeutendsten Jiddisch schreibenden Schriftstellern des 20. Jahrhunderts – im deutschen Sprachraum ist Sutzkever nahezu unbekannt. Ein sträfliches Versäumnis, wie »Black Honey« zeigt. Der Dichter, der vom Ghetto in Wilna, dem »Jerusalem des Nordens« aus sein poetisches Werk verfasste und später nach Israel emgigrierte, besingt in seiner glasklaren Lyrik die sibirische kristalline Wunderwelt seiner Kindheit und schreibt sich mit ihrer Hilfe auch heraus aus der Hölle des Naziterrors, der im heutigen Litauen wütete wie an kaum einem anderen Ort. »Geh über Wörter wie über ein Minenfeld« (»Gej iber Werter wi iber a Minenfeld«), um es mit Sutzkever selbst zu sagen. 1946 sollte Sutzkever zum Zeugen bei den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg werden. Eine Aussage in Jiddischer Sprache war ihm dort zwar verwehrt, aber später notierte er im Gedicht »Vor dem Nürnberger Tribunal«: »Mein Volk, du musst dich für dein Schwert entscheiden / wenn Gott zu schwach ist für die Gerechtigkeit«. Sutzkevers Lebensgeschichte ist somit immer auch eine Erzählung jüdischer Selbstermächtigung, die auch angesichts der Katastrophe der Shoa nicht klein beigeben will. Der Film »Black Honey« erlaubt einen Einblick in das Leben und dichterische Werk Abraham Sutzkevers und lädt dazu ein, sich eingehender mit den Arbeiten des jiddischen Dichters zu befassen. An der Stelle sei besonders auf die verdienstvolle deutschsprachige Buchausgabe des Amman-Verlags verwiesen. Sie versammelt die beiden Bände »Gesänge vom Meer des Todes« und die autobiografische Schrift »Wilner Getto 1941 – 1944«. Ein idealer Einstieg in das Werk Sutzkevers.
Die von Ellen Presser (Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde) organisierten und kuratierten Filmtage stehen in dieser Ausgabe ganz im Zeichen des Dokumentarischen, denn, so Presser, ihre Form eigne sich besonders, »die Erinnerung wachzuhalten«. Sogar der Spielfilm, der sich in die Reihe geschlichen hat, widmet sich daher der Wirklichkeit und ihrer Dokumentation, und könnte – thematisch brisant – aktueller kaum sein: »Die Berufung« (»On the Basis of Sex«) erzählt vom Werdegang der jüdischen US-Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg. Gespielt wird die Ikone der US-Bürger- und Frauenrechtsbewegung von Felicity Jones. Die Schauspielerin verkörpert die geschichteschreibende Powerfrau auf ihrem beschwerlichen Weg an die Spitze tough und charmant zugleich. Von Männern, die Ginsburgs Aufsteig verhindern wollen, lässt sich die hochbegabte Juristin nicht aufhalten. Auf seinem Handlungshöhepunkt ist »Die Berufung« ein höchst gelungenes und präzise inszeniertes Gerichtsdrama, das zwar stellenweise ein bisschen an seiner Formelhaftigkeit krankt, aber durch seinen gelungenen Schaupielercast zu überzeugen weiß. Den Film ist im Rahmen der Jüdischen Filmtage noch vor seinem Kinostart am 7.3. zu sehen!
Zu weiteren Höhepunkten der Filmtage gehören der Dokumentarkurzfilm »116 Cameras«, der sich die Frage stellt, wie mithilfe technologisch-bildgebender Mittel das Erbe der zusehends aussterbenden Zeitzeugengeneration bewahrt werden kann sowie der von Alison Chernick inszenierte »Itzhak Perlman – Ein Leben für die Musik«, der sich der Biographie des weltberühmten Geigenvirtuosen widmet. Eingebettet werden alle Programmbeitrage von Experten-Einführungen und anschließenden Gesprächen. Und auch das leibliche Wohl soll nicht vernachlässigt werden: Im Rahmen der Vorführung von »Hummus – The Movie« (Mi.,19.1, 19 Uhr) findet eine Verköstigung für die Besucher statt. Der nicht nur ausschließlich in kulinarischer Hinsicht gelungene Dokumentarfilm über die Geschichte des Hummus im Nahen Osten erzählt zudem mit Leichtigkeit von den geglückten Momenten des Zusammenlebens verschiedener Kulturen in Israel – ein wohltuender Blick auf das Land hinaus über die verengende Sichtweise des Nahostkonflikts. ||
Das vollständige Programm der Jüdischen Filmtage
Das könnte Sie auch interessieren:
Leopold und ABC Kinos unter neuer Führung
DOK.fest 2024: Ein Blick ins Programm
»Der Rausch« von Thomas Vinterberg: Jetzt im Kino
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton