Milo Rau begibt sich in »Die Wiederholung« in den Kammerspielen auf die Spuren eines entsetzlichen Gewaltaktes.
Es war ein unfassbar brutales Verbrechen, das Milo Rau auf der Bühne rekonstruiert. Vier besoffene Männer hatten 2012 im belgischen Lüttich den Homosexuellen Ihsane Jarfi gefoltert und totgeschlagen. In »Die Wiederholung«, dem Auftakt der Reihe »Histoire(s) du théâtre«, deren Titel sich an Godards »Histoire(s) du cinéma« anlehnt, setzt sich der Schweizer Regiestar mit einem entsetzlichen Kriminalfall und zugleich mit seiner eigenen Arbeit auseinander. Nun gastiert die in Brüssel uraufgeführte, durch viele Städte tourende Inszenierung in den Kammerspielen.
Die Entstehung von Gewalt, die hässliche Fratze des Menschen hat Rau immer wieder in seinen Dokutheaterstudien beleuchtet, von seinem erschütternden Reenactment »Hate Radio« zum Völkermord in Ruanda über »Breiviks Erklärung« bis zu »Das Kongo Tribunal«. Stets geht den Projekten eine lange Recherche voraus. Für »Die Wiederholung« sprach das Ensemble mit einem der Täter, dem Verteidiger sowie Angehörigen des Opfers. Neben vier Schauspielern treten zwei Laien auf, ein Gabelstaplerfahrer und eine als Hundesitterin arbeitende Rentnerin. Beide stammen aus Lüttich, einer ehemaligen Stahlstadt mit hoher Arbeitslosigkeit. Arbeitslos waren auch Ihsanes Mörder.
In schwer erträglichen Passagen stellt die Aufführung deren Tat nach. Es regnete in der Nacht, als der 32-Jährige vor einem Schwulenclub zu den Fremden ins Auto stieg. Auch auf der Bühne fällt Nieselregen, während ein VW Polo hereingeschoben wird, in dem die Täter über ihr Opfer herfallen, ehe sie es in den Kofferraum packen. In langen quälenden Minuten prügeln sie schließlich auf den wehrlosen Mann ein, spucken und urinieren auf seinen nackten Körper. Dabei lässt Rau uns nie vergessen, dass das, was wir hier se hen, Theater ist. Zu Beginn wird das Casting von Laien nachgespielt, Videos verdoppeln Bühnenszenen und weichen plötzlich irritierend davon ab. Seine Inszenierung ist auch eine Reflexion über Repräsentation und Authentizität, die Möglichkeiten und die Unmöglichkeit, Realität im Theater abzubilden, und die Rolle des Zuschauers.
Wie sein gefeiertes Stück »Five Easy Pieces« über den Kindermörder Marc Dutroux versteht Milo Rau »Die Wiederholung« als einen »Theateressay«. Interessiert habe ihn in beiden Fällen, erklärte er in einem Interview, die »Banalität des Bösen« und »nicht die Monstrosität des Einzelnen«: »Wie kann ein völlig gewöhnlicher Mensch sich in einen bestialischen Mörder verwandeln? Warum bringen drei Leute ohne Grund einen ihnen unbekannten Homosexuellen in Lüttich um?« Was hat sie angetrieben? War es die aufgestaute Aggression von sozialen Verlierern, die Verkehrung von Ohnmacht und Demütigung in einen rauschhaften Akt der Gewalt und Omnipotenz? War der Mord ein »Hate crime«, als das man ihn in Belgien einstufte? Antworten gibt der Abend, auf den die Kritiker gespalten reagierten, keine. Während die einen seine Vielschichtigkeit lobten, monierten andere, dass er nichts wirklich erhelle. Kalt lassen aber wird er sicherlich niemanden. ||
DIE WIEDERHOLUNG
Kammer 2| 10.–12. Dez.| 20 Uhr | Tickets: 089 23396600
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