Die Theaterserie »Münchner Schichten« verleiht dem Festival Politik im freien Theater etwas Lokalkolorit.
München bekommt seine eigene Serie, und es wird kein »Tatort« und kein endloses Krankenhausdrama, sondern eine kurze Theaterreihe sein. Der Startschuss fällt während des Festivals Politik im freien Theater, wobei immer zwei Episoden auf einen von nur vier Sendeterminen – äh: Abenden – fallen. Das Thema ist München selbst, was zu der beim eben zu Ende gegangenen Festival Rodeo gefeierten Rückbesinnung aufs Lokale passt, die man im Theaterprogramm des »Politik«-Festivals sonst weitgehend vermisst. Und folgerichtig sind unter den Autoren der verschiedenen Episoden auch einige von denen, die sich schon länger mit der Frage beschäftigen, was es bedeutet, als Künstler und/oder jüngerer Mensch in München zu leben. So etwa Benno Heisel, der schon bei Rodeo 2016 sogenannte »StadtKernBohrungen« in Spaziergangform mit vorwiegend studentischen Mittätern unternommen hat.
Damals war das eher historisch und sehr, sehr spielerisch. Jetzt geht es eher ums Heute, aber spielerisch und örtlich mobil bleibt’s. »Münchner Schichten« heißt die Aufführungsreihe – und darin schimmert ihr Vorbild kräftig durch: Die Kultserie »Münchner Geschichten« rund um den mit seiner Oma im Lehel lebenden Tscharlie, mit der Helmut Dietl in den 70er und frühen 80er Jahren die Leute zur besten Vorabendsendezeit von der Straße holte. Heute wirkt schon das Wort Sendezeit hoffnungslos antiquiert. Dafür gibt es »hippe Zwischennutzungsprojekte« wie das zwischen Hotel, kulturellem und Party-Hotspot changierende Lovelace, wo am 7. November die ersten beiden Einakter zu sehen sind: Nummer eins stammt von Barbara te Kock, die schon vor gut einem Jahrzehnt gemeinsam mit Philine Velhagen aufs Zauberhafteste private und andere Münchner Räume zur Bühne machte. Und weil sie inzwischen auch Drehbücher schreibt und das zum Auftakt einer Serie passt, gehen die »Münchner Schichten« mit einem Casting los – und mit einem Schreibworkshop für Geflüchtete weiter, den die mit den Kammerspielen assoziierte jordanische Dokumentartheatermacherin Amahl Khouri ersonnen hat. Benno Heisels Kurzstück, in dem die Bundesagentur für Arbeit einen Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Staates ausschreibt, wird Anfang Dezember gemeinsam mit Raphaela Bardutzkys Untersuchung der Arbeitsmarkttauglichkeit des heidnischen Nikolaus-Begleiters Krampus als Folge drei und vier in einem typischen Co-Working-Space zur Aufführung kommen.
Heisel sieht die Stärke von Dietls »Geschichten« von der ersten Gentrifizierungswelle und dem schwindenden Milieu vor allem in ihrer Deutungsoffenheit: »Man kann darin harmlose Lauser-Geschichten sehen oder ein ätzendes satirisches Gesellschaftspanorama, nostalgische Underdog-Erzählungen oder eine kapitalismuskritische Parabel.« Für die vergleichbare Viel»schichtigkeit« der neuen Theaterserie sollen die unterschiedlichen Perspektiven der drei jungen Regisseure Annalena Maas, Clara Hinterberger und Kevin Barz sorgen – und die acht Autoren, die sehr unterschiedliche Sujets und Themen gewählt haben: Raphaela Bardutzky und Theresa Seraphin (hier mit den 100 besten »Gründen, sich in München zu kreuzigen«) kommen von der Dramaturgie und haben 2016 das Netzwerk der Münchner Theatertexter*innen gegründet, Andreas Kohn vom Kollektiv Kommando Pninim hat Politikwissenschaft studiert und rückt in Folge fünf vor Seraphins Kreuzigungen einer Münchner Hausgemeinschaft in einem Treppenhaus auf die Pelle.
Und Leander Steinkopf, der auch als Journalist arbeitet, bestellt gemeinsam mit (Theater)-Autor Jan Geiger die letzte Schicht im Fitnessstudio, wo es am Beispiel »einer altehrwürdigen Münchner Zeitung« um die Zukunft der lokalen Presse geht und um das Potenzial von »Drag« und »Glam«, den Mangel an Geld zu kompensieren, der die Menschen daran hindert, ihre Lebensumstände zu ändern. Und auch wenn es in den »Schichten« weder ein durchgehendes Milieu noch ein festes Personal gibt, bleibt ein Minimum an Serialität durch den Coup gewahrt, dass immer eine Figur zur jeweils nächsten Folge hinüberwandert. Ob als eine Art Staffelträger für Themen, Stimmungen oder andersartige Impulse, wird man sehen. ||
MÜNCHNER SCHICHTEN
Lovelace| Kardinal-Faulhaber-Str. 1 | 7. Nov.
19.30 und 22 Uhr | weitere Doppelfolgen am 6. Dez., 25. Jan.und 2. März| Tickets
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