Ein Zauberwort wird eingekreist – ein Tag lang „Storytelling“ beim der Kongress Plot18.
Er hätte eigentlich kaum besser laufen können. Denn den Organisator/innen Petra Sammer und Gerhard Maier ist es gelungen, ihrem Kongresserstling »Plot18« an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) eine Dramaturgie zu verordnen, die über einen Tag hinweg das umfassende Thema Storytelling in seiner Vielfalt verdichtete, in dem es die Perspektiven, Einsatzgebiete, Ansätze ausweitete. Ein Widerspruch an sich, doch einer, der sich in einzelnen Programmpunkten auflöste. Die erste Tageshälfte wirkte dabei noch ein wenig hermeneutisch und startete die Spirale der Näherung von weiten Einstiegspunkten aus.
Karen Strauss von der Agentur Ketchum beispielsweise stellte einige erfolgreiche, mit kinematographisch-journalistischen Mitteln arbeitende Imagefilme vor. August Pflugfelder vom BR-Jugendsender Puls streifte das Gebiet des gesteuerten Erzählers in sozialen Medien durch das Beispiel der Snapchat-Soap iam.serafina, die mit der Wechselwirkung von skelettiertem Rahmen und situativem, stellenweise improvisierendem Darstellen agiert. Das Ideen-Panel »What The Plot?« wiederum blieb in der Diskussion zwischen Erzähltheorie, journalistischem Ansatz und dem Alltag der Drehbuch- und Gestaltungsarbeit im erwartbaren Rahmen der Sachzwänge und tagtäglichen Arbeitsperspektiven.
Teil zwei des Tages jedoch war anders konzipiert. Bis auf ein etwas unentschlossen geführtes Einstiegspanel, das versuchte, dem Klischee des Erzählnotstands in Deutschland phänomenologisch Herr zu werden, gab es vor allem Ausblicke zu erleben, die über das Thema hinaus oder besonders nachdrücklich hineinführten. So präsentierte etwa im Workshop-Slot das Coach/Autorinnen-Team Verena Weese und Sabrina Amerell eine Möglichkeit des Perspektivenwechsels bei der Entwicklung von Geschichten, indem sie die Lebensphasen des Tarotkreises mit den Energie- und Konfliktprozessen einer systematischen Aufstellung kombinierten. Das klingt esoterisch, erwies sich aber in der Workshoppraxis als erstaunlich handfeste Methode der Mauerschau. Ein weiteres Panel befasste sich mit Storytelling im Zusammenhang von Live Action Role Playing (LARP), bei dem eigene Erzählweisen immersives Erleben von Geschichten ermöglich, oder auch mit Projekten wie Sarah Churchwells Living Literature, das in London historische Rekonstruktionen von Romanwelten mit Lesungen und individuellen Erleben kombiniert.
Schlussendlich packte die Projekt- und Evententwicklerin Tatjana Samopjan in ihrer ausführlichen Schlussadresse das Plenum beim Schopf der kreativen Behaglichkeit. Am Beispiel unter anderem von Serienautoren wie David Simon (The Wire) und David Milch (Deadwood), aber auch eigener schamanischer Erfahrungen forderte sie von der schreibenden Zunft eine hohe Schmerztoleranz dem persönlichen Erleben gegenüber. Jeder Mensch ist ein Netzwerk der Geschichten, die über ihn und von ihm erzählt werden. Sie gilt es zu entdecken, zu extrahieren und erfahrbar zu machen, mit dem Feuer der individuellen Empfindung und der Kraft mitfühlender Umsicht. Das war als Botschaft nicht neu, aber so profund auf den Punkt gebracht, dass am Ende nachdenkliche Euphorie im Saal dominierte. Kein schlechter Schluss für eine Tagung über Storytelling – und ein Ansporn, das Thema weiter zu umkreisen.
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