Seit einem Jahr ist das theater … und so fort obdachlos. Das kann es seine Existenz kosten.
In München eine bezahlbare Wohnung zu finden, erfordert die Ausdauer eines Marathonläufers und die Geduld eines Buddhas. Verglichen mit der Suche nach einer neuen Spielstätte aber ist es ein Kinderspiel. Seit einem Jahr ist das theater … und so fort nun heimatlos. Dabei lässt Heiko Dietz nichts unversucht. Er schreibt Brauereien und Hauseigentümer an, einfach alle, die über Immobilienbesitz verfügen, und hat sogar eine Plakataktion gestartet. »Vielleicht hat ja irgendjemand einen Tipp für uns.«
Tagelange Regenfälle hatten die Katastrophe im Sommer letzten Jahres eingeleitet. Nach einem verheerenden Wasserschaden während der von der Vermieterin nicht ausreichend gesicherten Hofsanierung musste er aus dem Kellertheater in der Kurfürstenstraße, das unter dem Hof lag, ausziehen. Seither tingelt das theater … und so fort, das mittlerweile bei Heppel & Ettlich, im Theater im Fraunhofer, TamS und Milla zu Gast war. Die angeschlossene Schauspielschule wird Dietz im Herbst, wenn die letzten Schüler abgegangen sind, erst einmal »ruhen lassen«.
Dass die Bühne bislang überlebt hat, ist nicht zuletzt engagierten Zuschauern zu verdanken, die sich nach einem Spendenaufruf meldeten. »Wie viele Menschen uns unterstützt haben«, erklärt er, »hat mich wirklich gerührt.« Aber natürlich sind die Mittel endlich. Zur Überbrückung arbeitet Dietz als Schauspieler und Regisseur an anderen Häusern. Das Kulturreferat hat dem Theater eine finanzielle Nothilfe in Aussicht gestellt – vorausgesetzt, er findet einen Raum. Doch der Existenzkampf für freie Theater auf dem Immobilienmarkt wird immer dramatischer. Wer schon ziemlich alt ist, erinnert sich noch daran, dass München einmal eine reiche freie Szene hatte. Heute ist diese auf eine traurig kleine Handvoll Theater zusammengeschrumpft.
Die ungewisse Zukunft zehrt an den Nerven, aber Heiko Dietz gibt die Hoffnung nicht auf. Mit seiner nächsten Inszenierung kann er noch einmal im Theater im Fraunhofer gastieren. Dort feiert im Juli Strindbergs »Fräulein Julie« Premiere. Dietz möchte die Konflikte in dem Drama um die Grafentochter Julie, die sich in einer Mittsommernacht mit dem Diener Jean einlässt, neu ausloten und schärfen. Aus Jean wird Jeanne. »Durch den Rollentausch«, meint er, »bekommen die Grenzüberschreitungen der Figuren eine andere Brisanz.« Im Zentrum steht nicht der Geschlechterkampf. »Jeanne provoziert ein Machtspiel, das außer Kontrolle gerät, aus dem plötzlich Ernst wird. Julie verliert nicht nur die Sicherheit ihrer sozialen Rolle. Sie wird mit bis dahin verborgenen Seiten ihres Selbst konfrontiert, die sie existenziell verstören.«
Nach der Klassikeradaption will sich Dietz wieder zeitgenössischen Stoffen zuwenden. Der Spielplan für den kommenden Herbst und Winter steht bereits, auch für 2019 hat er schon Projekte im Kopf. Doch wenn er bis Dezember keine neue Adresse vorweisen kann, verliert er die städtische Förderung und München ein weiteres Theater. ||
FRÄULEIN JULIE
Theater im Fraunhofer| 25.–28. Juli| 20.30 Uhr
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