Der Film »Nico, 1988« zeichnet die letzten Jahre von Nico alias Christa Päffgen, Sängerin bei Velvet Underground und Ikone am Abgrund, nach – und macht dabei vieles besser als übliche Biopics.

Sängerin von The Velvet Underground, Ikone und immer nah am Abgrund: Nico (Trine Dyrholm)| © Film Kino Text

Sie ist eine Nomadin, ein Rockstar auf Tour, sie wechselt Betten und Busse und manchmal verliert sie ihren Pass, aber zwei Dinge scheint Nico, Musikerin, Muse und Ikone, immer bei sich zu tragen: Spritzen und ein portables Aufnahmegerät. Mit dem einen Instrument zerstört sie sich, das andere soll Verlorenes wiederherstellen.

Nico wird 1938 als Christa Päffgen in Köln geboren, doch schnell zeigt sich, dass die bedrückende Tristesse einer deutschen Nachkriegsstadt nicht genug Platz hat für die 1,78 Meter große Blondine: Sie wird Model, lernt Schauspiel in New York, verkehrt mit Bob Dylan und den Rolling Stones und hat einen kleinen Auftritt in Fellinis »La dolce vita«. Andy Warhol bringt sie schließlich 1966 zu The Velvet Underground, das gemeinsame Debütalbum »The Velvet Underground and Nico« macht ihre dunkle Stimme ebenso berühmt wie die nicht weniger düstere Aura der »Priesterin der Finsternis«. Obwohl sie später sagen wird, dass sie bei The Velvet Underground vor allem im Hintergrund das Tambourin zu schlagen und hübsch auszusehen hatte, schuf die kurze Zeit mit den harten Kerlen um Lou Reed gewissermaßen ihre Karriere – und einen Kult, aus dem sie sich Zeit ihres Lebens nicht mehr befreien konnte: Als Solosängerin schleppt sie sich nur noch mit einer etwas unbeholfenen Band von Junkies durch Europa, singt oft in halb leeren Hallen und rastet auf der Bühne aus – aber was ist ein Rockstarleben ohne Publikum?

Der Film »Nico, 1988« widmet sich deshalb diesen letzten Jahren ihres Lebens, dem letzten Aufbäumen im Kampf zwischen Befreiung und Aufrechterhaltung eines Mythos. Regisseurin Susanna Nicchiarelli verfällt dabei glücklicherweise nicht der Falle vieler Biopics, die narrative Bögen ziehen, wo keine sind, und Handlungen auf ein von Anfang an fixes Ende ausrichten, um einem pathoshungrigen Publikum zu gefallen: So hätte aus »Nico, 1988« eine filmische Spirale aus Sex und Drogen werden können, eine Glorifizierung der Extreme; stattdessen sehen wir den Alltag einer Frau, die sagt, sie sei bereits ganz oben und ganz unten gewesen, und beide Plätze seien leer, eine Frau also, die sich nun lieber um die Mitte kümmert und nichts verherrlicht, selbst Heroin spritzt sie sich wie beiläufig in den Fuß.

Wir sehen Nico, die ihre Solokarriere vo -rantreibt und langsam die Fäden zu ihrem Sohn zurückspinnt – der vom Vater Alain Delon nie anerkannt wurde, da er zu der Zeit mit Romy Schneider liiert war, und der deshalb bei den Großeltern in Paris aufwuchs –, Nico, die über einem Teller Pasta und selbst gemachtem Limoncello in absolute Glückseligkeit zerfällt: ein Plädoyer des Gegenwärtigen. Mit ihrem Aufnahmegerät konserviert die Sängerin alle möglichen Geräusche, den schwer atmenden Boiler im Badezimmer oder die Geräte am Krankenhausbett ihres Sohnes. Sie, die sich dagegen wehrt, von ihrer Vergangenheit definiert zu werden, ist gleichzeitig getrieben von der Suche nach einem Klang ihrer Kindheit: dem Geräusch von Bomben über Berlin. Für sie »der Klang des Besiegtwerdens«.

Die dänische Schauspielerin Trine Dyrholm verkörpert Nico nicht nur mit einer intimen Schwermütigkeit als Patti-Smith-eske Rockerin, die sich mit fortschreitendem Alter schmerzhaften Fragen von Verlust stellen muss, sondern übernimmt auch alle Gesangsparts selbst. Statt mit geraden Linien arbeitet der Film also eher mit wiederkehrenden Elementen: »Nico, 1988«, Gewinner des ORIZZONTI Award bei den Filmfestspielen Venedig 2017, ist ein Spielfilm über Rock, der Musik aber in den Zwischentönen sucht, eher Dokumentarfilm mit Empathie als distanziertes Drama, und verfügt deshalb über eine rare Authentizität, die nachhallt wie eine Bombe. ||

NICO, 1988
Italien, Belgien 2018 | Regie: Susanna Nicchiarelli | Mit: Trine Dyrholm, John Gordon Sinclair u.a. | 93 Minuten | Kinostart: 18. Juli
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