Im Resi inszenierte Martin Kušej Schillers »Don Karlos« in einem düsteren Überwachungsstaat.

(Franz Pätzold, l.) erklärt dem gefangenen Karlos (Nils Strunk) seinen Rettungsplan © Matthias Horn

Ein wiederkehrendes Geräusch aus dem Dunkel: scharf, schneidend, klatschend. Getrieben von einem drängenden Beat (Musik: Bert Wrede). Der erste Lichtschein zeigt, wie fast nackte, gefesselte Gefangene von vermummten Schergen in ein Wasserloch gestoßen werden. Weil sie im katholischen Spanien Freigeister, also Ketzer sind. Ihr Schicksal besiegeln später ein Benzinkanister und eine Stichflamme aus dem Kerker. Regisseur Martin Kušej macht sofort die Atmosphäre im spanischen Staat des 16. Jahrhunderts deutlich: Gewalt, Überwachung, Unterdrückung. Die Drehbühne (Annette Murschetz) setzt klare Herrschaftszeichen: Über schwarzer Leere, nur durch milchige Lichtkegel erhellt, gleißt ein riesiger diamantener Lüster. Überall steht ein Lauscher in einer dunklen Ecke. Im Wechsel dazu gemahnt ein graublauer Innenraum an ein schallisoliertes Tonstudio und gleichzeitig an eine Eiserne Jungfrau – diese Wände können töten.

Nichts darf laut gesagt werden (weshalb es oft im Dunkeln gesagt wird), nichts darf ans sparsam eingesetzte Licht kommen. Schon gar nicht die verbotene Liebe des Thronerben Karlos zu seiner Stiefmutter, der Königin Elisabeth, einst seine Braut und vom Vater weggeheiratet. Erst recht nicht seine Sympathie für die protestantische Provinz Flandern, die König Philipp durch Herzog Alba blutig niederknüppeln lassen will. Schiller hat 1787 in »Don Karlos« einen royalen Vater-Sohn-Konflikt, eine aussichtslose Love-Story und eine von Aufklärung und Idealismus befeuerte Männerfreundschaft verknüpft. An diesen drei Problemen kann Karlos, schon von Schiller mit spätpubertärer Bipolarität angelegt, nur scheitern. Nils Strunks
Heißsporn Karlos erweist seinem Rang als Infant durchaus infantile Ehre. Wenn er Ehrlichkeit beweisen will, zieht er blank – nämlich das T-Shirt aus. Wirft sich mit nackter Brust hochemotional dem Regime, dem Freund oder der falschen Liebhaberin entgegen.

Sein Freund Marquis Posa sucht ihn zur Vernunft zu dämpfen: Er verfolgt größere politische Pläne mit klarem Kalkül, um sich am Ende doch tödlich zu verspekulieren. Franz Pätzold spielt Posa sehr zurückgenommen als kühlen Taktiker ohne Charisma. Nach dem Satz »Geben Sie Gedankenfreiheit!« entfährt ihm ein erleichtertes »Puh«: Endlich ist’s raus. Der König ist davon beeindruckter als das Publikum. Souverän rückt Thomas Loibl großartig diesen Philipp ins Zentrum: Den im Zeremoniell gefesselten Herrscher über das Reich, in dem die Sonne nie untergeht, zeigt er zunehmend als geschundene, gemarterte Kreatur, gefoltert von Eifersuchtsängsten und physisch auch vom Sohn, der ihn halbnackt, wimmernd und stöhnend, auf allen vieren zu Boden zwingt. Zwischen Wahn, Erniedrigung und Epilepsie entblößt Loibl einen zerstörten Menschen, den nur die Etikette aufrecht hält.

Die Frauen bleiben oft im Dunkeln. Lilith Häßle lässt intensiv die Mühe erkennen, mit der Elisabeth trotz widerstrebender Gefühle höfische Beherrschung behält. Emotionen kann sich die Eboli leisten, der Meike Droste weder Grandezza noch Fallhöhe gibt: Ein schnippisches, nervös rauchendes Flittchen nimmt böse Rache für eine Abfuhr. Ebolis Mini-Hemdchen steht für den wenig plausiblen Stilmix der Kostüme von Heide Kastler: Karlos trägt anfangs Hoodie-Jacke, die Damen Sonnenbrillen. Später sind alle historisierend in Pluderhosen und Spitzen-Stehkrägen gewandet. Aber der greise Großinquisitor schält sich unter den Leichensäcken eines niedergeschlagenen Aufstands hervor in einer legeren Outdoor-Jacke. Manfred Zapatka und Loibl fechten das Machtduell zwischen Kirche und Staat grandios aus. Und noch einmal muss Philipp vor der Gewalt der Inquisition auf die Knie gehen. Das Ende aller Aufklärung – in Schwärze, Düsternis und lastender Stille. Trotz spannender Szenen erliegt Kušejs vierstündige Inszenierung schließlich einer bleiernen, langweiligen Schwere. ||

DON KARLOS
Residenztheater| 4. Juni, 9./12. Juli| 18.30 Uhr | 8., 16. Juni, 1. Juli| 18 Uhr | Tickets: 089 21851940

 


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