Jahre um Jahre verstreichen: Dem Alltag in Flüchtlingslagern im Tschad widmen sich Choreograf Taigué Ahmed und fünf Tänzer seiner Organisation Ndam Se Na.Was erlebt der Einzelne dort, wovon träumt er, damit die Hoffnung nicht stirbt? Ein Gespräch mit der Dramaturgin Sarah Israel.
Wie die Zeit vergeht? Zehn Jahre, das kann die kurze Strecke zum nächsten runden Geburtstag sein – oder der lange Weg zum Abitur. Oder eine endlose Warteschleife. Die achtjährigen Mädchen, mit denen Choreograf Taigué Ahmed bei seinem ersten Besuch als Tanzpädagoge im Flüchtlingslager gearbeitet hatte, sind jetzt, mit 18, immer noch hier. Aus dem Krieg in der Zentralafrikanischen Republik konnten sie sich retten. Aber aus dem Provisorium eines Camps im Tschad, das vom UN-Flüchtlingshilfswerks, der Regierung und humanitären Hilfsorganisationen verwaltet wird, ist eine Dauereinrichtung geworden, mit wenig Hoffnung auf Rückkehr oder neue Zukunft.
»Morgen« heißt das Stück von Taigué Ahmed: »Waignedeh« in Kabalaye, einer der vielen Sprachen des Tschad. Es widmet sich diesem Ort des Wartens und dem Gefühl des Stillstands. Und den Träumen von Veränderung. Seit 2005 bietet Ahmed Tanzprojekte in Flüchtlingscamps an. In Abständen, die auchmal länger dauern, denn seine Organisation Ndam Se Na braucht nicht nur Kapital, sondern auch die Genehmigung des UNHCR, berichtet Dramaturgin Sarah Israel. »Aber die, die tanze nwollen, sind immer noch da. Es kommt ja keiner raus aus so einem Camp, das sich zu einem Dorf ausgewachsen hat.« Aus der Notversorgung wird Alltag. Es gibt so gut wie keine Perspektive auf eine andere Zukunft. Die Strategien der Verwaltung zielen in Richtung Selbstversorgung: Die Rationen des Nötigsten wurden durch Geld ersetzt und durch Binnenwirtschaft. »Sie pflegen über die Jahre das, was sie können, Viehzucht und Ackerbau, und ernähren so die Region mit, oder betreiben im Camp einen Laden.« Aber sie bleiben Flüchtlinge in einem Flüchtlingscamp, so werden sie von der Gesellschaft betrachtet. Und verstehen sich selbst auch als Geflüchtete – mit ihren Erinnerungen an Heimat, an Krieg und Vertreibung –, die dort nichtzu Hause sind, auch wenn dort schon Kinder oder Enkel geboren wurden. Was soll aus Sicht der betreuenden Organisationen nun werden, und was ist die Perspektive derMenschen dort? »Es gibt eigentlich keine Zukunftspläne. Jedenfalls keine langfristige Strategie«, so Sarah Israel. Ein Plan wäre das Zurück. Auch wenn durch die Infrastruktur im Camp die Lage meist besser ist als dort, woher man kommt.
Manche hoffen, mit Kontingenten nach Kanada oder in die USA zu gelangen. »Es gibt noch keine Lösung. Im Tschad werden jetzt auch kleinere Gruppen in der Stadt angesiedelt, um wegzukommen von den großen Einheiten.« Und wie ist die Situation im Tschad, einem der unterentwickeltsten Länder der Welt? »Das ist ein Land, das bei uns keiner auf der Weltkarte hat. Dreimal so groß wie Deutschland, bei 13 Millionen Einwohnern. Fährt man in den Süden, in ein solches Lager, kommt es einem vor, als steckte man fest. Die Menschen dort sind völlig vergessen, gleichzeitig überversorgt und unbefriedigt, weil es ja nicht weiter geht. Als ich im Zuge der Recherchen zumersten Mal dort war, erschien mir das Lager fast wie ein normales Dorf. Aber das Stigma des Flüchtlings bleibt.«
Ahmed selbst kam mit 13 Jahren zum tschadischen Nationalballett, seine Ausbildung in zeitgenössischem Tanz machte er in Workshops und an der École des Sables im Senegal. Seit 2009 choreografiert er in Europa. Bei Mathilde Monnier am Centre Nationale de la Danse wollte Ahmed sein Anliegen umsetzen, ein Stück mit den
Tänzern zu erarbeiten, die er in den Lagern selbst ausgebildet hatte. Denn Ahmeds Workshops mit Tänzern,
Akrobaten und Percussionisten etablieren Tanzgruppen in den Flüchtlingseinrichtungen in Afrika – auch in Paris, Montrealoder München – und ermutigen junge Tänzer weiterzuarbeiten. Im Tschad gibt es freilich kein Geld für künstlerische Produktionen. Dann dauerte es sehr lange, bis Mittel akquiriert werden konnten: mit
einem Antrag bei der Bundeskulturstiftung, im Verbund von Tanzhaus NRW und den Kammerspielen. Und statt mit den »originalen« Geflüchteten – denn die nach Deutschland zu bringen ist kaum möglich – wurde die Produktion schließlich mit Tänzern aus Ahmeds Arbeitsumfeld konzipiert. Die begaben sich dafür zur Recherche eine Woche ins Camp.
Aber wie vermittelt man als Performer das Leben der anderen, diese speziellen Erfahrungen? »Der Tanz, wie ihn Ahmed praktiziert, ist geschult auch am traditionellen Tanz, wo sich vieles mit Alltagsbegebenheiten auseinandersetzt. Und auch der zeitgenössische Tanz Ahmeds arbeitet mit Gesten aus dem Alltag, die weitergesponnen und rekombiniert werden«, erläutert Israel. Und so sind mit dem Ensemble, inspiriert von Beobachtungen während des Aufenthalts im Camp, tänzerische Sequenzen entstanden. »Begonnen hat die Arbeit übrigens im Tschad, auf einer kleinen schwarzen Bretterbühne. Die Frage ist nun, wie kann man mit Tanz für ein europäisches Publikum, das die Verhältnisse an solch einem Ort nicht kennt, das Leben im Camp darstellen«, sagt Israel. »In so einem Camp, beispielsweise, geht man immer im Kreis, von Hütte zu Hütte, von Nachbar zu Nachbar, mit dem Versammlungsort in der Mitte. Und es gibt Körperlichkeiten und körperliche Tätigkeiten, die man hier speziell beobachten kann.« Freilich illustriert das Stück nicht. Ist nicht »authentisch«. Es übersetzt Erlebnisse und Atmosphärisches. Stilistisch mit einem Crossover von zeitgenössischem Tanz, traditionellen afrikanischen Formen, gestenreichen tanztheatralen Elementen und urbanen Moves wie Hip-Hop und Coupé-Decalé. »Wir haben viel diskutiert, was es heißt, einen Körper zur Verfügung zu stellen», sagt Sarah Israel. »Die fünf Tänzer haben ja die Erfahrung von Flucht selbst nicht gemacht. Und: Kann es einen politisch-dokumentarischen Tanz geben? Das Stück, so hoffen wir, vermittelt ein Verständnis von einem Ort.« ||
TAIGUÉ AHMED: WAIGNEDEH / MORGEN
Münchner Kammerspiele, Kammer 3| Hildegardstr. 1
13. /14. Mai| 20.30 Uhr | Buchvorstellung 13. 5.; Vortrag »Der politische Körper der Flüchtlingscamps« von Clara Lecadet, 14. 5., jew. 19 Uhr | Tickets
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