An Paul Klee kann man sich nicht sattsehen. Drei hochkarätigeAusstellungen geben Einblick in den Reichtum seines »kosmischen Bilderbuches«. Musikalische Dynamik, humorvolle und fantastische Szenerien, imaginäre Landschaften, bildnerische Architekturen – Klees Werke lassen teilhaben an der »Konstruktion des Geheimnisses«.

(in der Pinakothek:) Paul Klee: Ohne Titel (»Todesengel«)| um 1940 | Öl auf Leinwand, rückseitig Kleistergrundierung, auf Keilrahmen, 51 x 66,4 cm | Privatbesitz, Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, © Zentrum Paul Klee, Bern, Bildarchiv

»Ich bin Faust« – das gilt nicht für Paul Klee. In der »Faust«-Ausstellung der Kunsthalle ist er nicht vertreten, auch wenn sich »der größte Mystiker unter den Künstlern«, wie es dort im Katalog heißt, mit Goethes Drama beschäftigt hat. »Alles Faustische liegt abseits von mir«, notierte Klee 1916, als der Soldat des 2. ReserveInfanterieregiments im Münchner Maxgymnasium einquartiert war. Klee musste an Franz Marc denken, von dessen Tod bei Verdun er durch ein ein Telegramm am selben Tage erfahren, an dem er seinen Einberufungsbescheid erhalten hatte. »Das Faustische in ihm, das Unerlöste. Ewig fragend«, charakterisiert Klee den Freund. Und wie steht es mit dem Mephistophelischen, dem Prinzip der Dynamik, der Kräfte, der Metamorphose?

Und wie mit dem Rationalen, der Klarheit? Ein Gemälde in der Klee-Ausstellung der Galerie Thomas gibt Rätsel auf: »Mephisto als Pallas«, ein Blatt des unheilbar an Sklerodermie erkrankten Künstlers aus dem so überaus produktiven Spätwerk der Jahre 1938 und 1939. Pallas Athene, die Göttin der Weisheit, der Kunst und des Krieges (1939!), ist hier nicht – Klee hat damals eine Reihe zu mythologischen und literarischen Gestalten geschaffen – »porträtiert«, es ist nur ihr Helm mit feuer- oder blutroter Zacken-Zier, der als Tarnung Mephistos, als dämonische Vexiergestalt erscheint. Der teuflische Geist mit funkelnden – oder furchtsamen? – Augen figuriert nicht nur Ambivalenzen und zeugt von Humor und Ironie, sondern lässt auch erschließen, dass in Klees Kosmos das Gute und Böse gleichermaßen dazugehören und zusammenwirken. Noch einmal zurück zum Nicht-Faustischen: Im Kontrast zu dem »wärmer« liebenden Marc charakterisierte er die eigene Kunst: »Meine Glut ist mehr von der Art der Toten oder der Ungeborenen.« Kein sehnsuchtsvoller Romantiker also ist Klee. Er kennt keine Zuneigung, keine Erhöhung – sondern eine brüderliche Nachbarschaft, die auf der Auflösung der eigenen Position »ins Ganze« beruht. Ein 1916 – vielleicht auch heute – sozial und politisch bemerkenswertes Statement. Ein Künstler, der nicht einer Idee folgt, sondernan bildnerischen Formeln arbeitet »für alle kreisenden Kräfte zugleich«.

Drei aktuelle Ausstellungen geben Gelegenheit, diesen Kosmos genauer kennenzulernen. Zirka 10 000 Werke hat Klee vom Beginn seiner Ausbildung in München, zuerst an der Zeichenschule von Heinrich Knirr, dann an der Akademie bei Franz von Stuck, bis zu seinem Tod in der Schweiz Anfang 1940 geschaffen. Nun sind 40 hochkarätige Leihgaben zum Thema Musik und Theater in der Galerie Thomas versammelt, das Franz Marc Museum in Kochel bietet 40 Beispiele zum Thema Landschaft aus der eigenen Sammlung und der der Fondazione Braglia, und die Pinakothek der Moderne hat einige ihrer Säle zum 20. Jahrhundert freigeräumt, um eine Übersichtsschau mit 140 Werken zu präsentieren. Unter dem Titel »Die Konstruktion des Geheimnisses« liegt der Schwerpunkt hier auf der Zeit Klees am Bauhaus (1920–1931) und der Demonstration seiner bildnerischen Prinzipien. Wobei sich die Ausstellungen aufs Schönste überschneiden und Resonanzen erzeugen.

»Mephisto als Pallas«
1939, 855 (UU 15) | Kreide, Aquarell und Tempera auf Grundierung auf Papier, 48,5 x 30,9 cm | © Museum Ulm, courtesy Galerie Thomas

Polyphonie der Linie

Mit der Musik hat Galerist Raimund Thomas den Nerv getroffen. Erstens, weil er selbst »Die Sängerin L. als Fiordiligi« (1923) gekauft hat: Klee liebte die Oper und speziell Mozart (Fiordiligi ist eine Hauptfigur aus »Così fan tutte«) und hat dieses ihm wichtige Motiv fünf Mal variiert. Zweitens, weil er daraufhin mit Hilfe der Klee-Spezialistin Christiane Hopfengart eine feine Ausstellung zum Musikalischen und Theatralen zusammengebracht hat (Hopfengart hatte 2007 die große Schau im Berner Paul Klee Zentrum kuratiert). Drittens, weil die Musik Klee von Anfang an begleitete: Der Sohn einer Sängerin und eines Musiklehrers am Bernischen Staatsseminar war selbst ein begabter Geiger, der lebenslang jeden Tag zu seinem Instrument griff, spielte mit 16 im Orchester des Bernischen Orchestervereins, musizierte inMünchen als Kammermusiker bei Hauskonzerten, wo er seine Frau Lili Stumpf kennenlernte: »eine prachtvolle Partnerin, wir spielen Bach, dass es nur so kracht«. Klee verdiente ein wenig als Musiker, dann als Musikkritiker, doch nach der Hochzeit sorgte seine Frau als Klavierlehrerin für den Unterhalt, Klee malte mit Sohn Felix in der Küche. (Zur Wohnung in der Ainmillerstraße, in Nachbarschaft zu Kandinsky, hat übrigens der Münchner Maler Joachim Jung recherchiert; zu lesen in Nr. 5 der Online-Zeitschrift »Zwitscher-Maschine«)

Die Ausstellung der Galerie Thomas zeigt Klees intensive künstlerische Beschäftigung mit Themen aus Musik, Oper, Theater, Tanz und Varieté: etwa eine witzig-groteske »Hexenscene« (1921, zu Goethes »Hexenküche«?) und eine wunderbar kritzelige, geisterhafte Pinselzeichnung »Vielleicht Hamlet?«, zugleich ein schlagendes Beispiel für Klees Poesie der Titel, die der Künstler nach der Fertigstellung den Bildern beigefügt hat, fantasie- und humorvoll Assoziationsräume eröffnend. Manche Werke wiederum lassen erkennen, dass musikalische Prinzipien Klees Formenfindungen angeregt und befruchtet haben. Ein Frauenkopf (»Leontine«, 1933) mit Ohren wie Geigen-Schalllöcher ist aus quasi einer einzigen, auf dem Weg über das Blatt sich überkreuzenden Linie gestaltet, ebenso die Figuration »Tanz Stellung 17. B« (1935), wo diese »polyphone« Linie räumliche Mehrstimmigkeit erzeugt. Schließlich hatte Klee sich für die Malerei entschieden, weil er hier – im Gegensatz zum Bereich der Musik – die Chance auf zu entdeckendes, neu zu gestaltendes künstlerisches Terrain sah.

Gestirn in Landschafts-BildArchitektur – Paul Klee: »Mondaufgang (St. Germain)«| 1915 | Aquarell und Bleistift auf Papier auf Karton, 18,4 x 17,2 cm | © Museum Folkwang Essen

Das Tor zur Tiefe

Landschaften gibt es bei Thomas auch zu sehen. Eine architektonisch-verspielte (o. T., 1919) mit religiösen und kosmischen Symbolen, die Klee seinem Nachbarn und Freund, demKonzertpianisten Gottfried Galston widmete.Und die »Kleine rhythmische Landschaft« (1920), deren Hügel- und Felder-Raster miteiner Flora aus Noten und Taktstrichen belebtsind, sowie die wiederum aus einer Linie herausprozessierte »Dramatische Landschaft« (1928). Landschaft ist, wie erwähnt, das Thema der Klee-Sonderausstellung des Franz Marc Museums in Kochel. Das bedeutet prinzipiell: imaginäre, konstruierte Landschaften. »Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar«, so lautet der erste Satz von Klees Essay »Schöpferische Konfession« (1920) über die eigene Tätigkeit. Dessen zweiten Abschnitt, »eine kleine Reise ins Land der besseren Erkenntnis«, einen topographisch-abenteuerlichen Spaziergang durch eine Bild-Struktur, hat Direktorin Cathrin Klingsöhr-Leroy in Kochel als Motto gewählt, zugleich als Leseanregung für Klees Bilder, als Hinweis auf das prinzipielle Prinzip seiner »bildnerischen Polyphonie«: Bewegung, Genese. Denn »das Kunstwerk ist in erster Linie Genesis, niemals wird es [rein] als Produkt erlebt«, wie Klee weiter schreibt, der diesen Text auch bei seiner Lehre am Bauhaus verwendete. »Dem gleich einem weidenden Tier abtastenden Auge des Beschauers sind im Kunstwerk Wege eingerichtet«, und wie reich, wie verschlungen, wie immer aufs Neue überraschend solche Wege sein können, kann man stets erleben bei Klee. Max Bill, einst Bauhausschüler, dann geometrisch-konkreter Maler, Architekt und Designer, meinte hingegen: »Leider hatte Klee keinen Papierkorb.«

Solche Geringschätzung Klees – übrigens in den 20er Jahren durch Kunsthändler, Kritiker und Selbstdarstellung der einzigartige deutsche Shooting Star in der internationalen Kunstszene – gegenüber Kandinsky, dem Kollegen in Schwabing und am Bauhaus, liegt falsch. Es gibt keine mittelmäßigen Klees, wie jedes einzelne Werk in jedem wie auch immer bestückten Museum der Welt zeigt. Klees Reichtum, seine bewegende Beweglichkeit, ist jetzt gerade auch in der Fülle an Arbeiten zu erleben, über die Jahre. In Kochel bemerkbar bereits in den scheinbar skizzenhaften, ausgedünnten, krakelig dynamisierten Landschaftszeichnungen und Radierungen von 1910 bis 1912, zum Beispiel der Georgenschwaige oder der Militärkiesgrube bei Milbertshofen, wo Klee, inspiriert von van Goghs kalligraphisch-expressiver Pinsel- und Strichführung eigene Kürzel – nie schematische Muster – und Zeichen losschreibt. Dann beim Aufblühen der Farbe in freien Geometrien, 1914, während der Tunisreise mit Augst Macke und dem Schweizer Freund Louis Moilliet.

»Der Abend ist unbeschreiblich. Zum Überfluß geht auch noch der Vollmond auf«, notiert Klee am Ostersonntag 1914 in St. Germain bei Tunis. »Louis reizt mich: ich sollte es malen. Ich sage: es wird höchstens eine Übung. Natürlich versage ich dieser Natur gegenüber.« Klee weiß aber auch, dass er an seinem Wollen, an dieser »inneren Angelegenheit für die nächsten Jahre« wachsen wird. Der Mond wird ab nun sein Spiegelbild sein, »mein anderes Ich, mich zu finden ein Anreiz. Ich selber aber bin der Mondaufgang des Südens.« Diese Einschätzung kann man in der Pinakothek der Moderne überprüfen, wo ein 1915 datiertes Aquarell »Mondaufgang (St. Germain)« aus dem Folkwang Museum zu bewundern ist. Und wo Kurator Oliver Kase unter der Überschrift »Mondaufgang« instruktiv Exempel für Klees Verwendung kosmischer Zeichen versammelt hat.

Der zweite Raum, »Die Idee der Türme«, nach den Selbstbildnissen am Eingang, fordert auch in der Ausstellungsarchitektur die räumliche Wahrnehmung des Besuchers heraus. Der Titel der letzten von neun Abteilungen lautet, wie der eines Bildes von 1936, »Das Tor zur Tiefe« und verweist auf die ausweglose Situation des vom Nationalsozialismus diffamierten Emigranten und von Krankheit Geschwächten. Den Besuch lohnen alle drei Ausstellungen, die der Pinakothek der Moderne besticht durch ihre großen Linien, Differenzierungsversuche, ihren Materialreichtum. Durch ihre Erläuterung der Formensprache und Bildarchitekturen. So nützlich Konstruieren, exakte Forschung in der Kunst auch sein mögen, betont Klee 1928 in der »bauhaus«-Zeitschrift: »Die Intuition ist trotzdem ganz nicht zu ersetzen.« Man müsste Kolleg halten »draußen unter Bäumen« oder »auf Bergen im Meer«. Eine anspruchsvolle Aufgabe wäre »Die Konstruktion des Geheimnisses«, unlösbar, weil es eine totale Konstruktion – ohne das Unberechenbare – nicht geben kann. ||

Landschaft als Zeit-Bild – »Gedanken an die Schlacht«| 1914, 140 | Aquarell auf Papier auf Karton © Fondazione Gabriele e Anna Braglia, Lugano

PAUL KLEE. MUSIK UND THEATER IN LEBEN UND WERK
Galerie Thomas| Türkenstr. 16 | bis 12. Mai
Mo–Fr 9–18 Uhr, Sa 10–18 Uhr, So 11–17 Uhr
Eintritt frei || 26. April, 19 Uhr: Literarischer Abend mit Stefan Hunstein und ›singender Geigerin‹ Susanna Andres | 3. Mai, 19 Uhr: KleeBlätter, Kompositionszklus von Hans-Karsten Raecke | Anmeldung: info@galerie-thomas.de
Der Katalog (Wienand, 288 S., 154 Abb.) kostet dort 38 Euro

PAUL KLEE. KONSTRUKTION DES
GEHEIMNISSES
Pinakothek der Moderne| Barer Str. 40 | bis 10. Juni| tägl. außer Mo 10–18 Uhr, Do bis 20
Uhr || Führungen: Di–Fr 14 Uhr, Sa 15.30 Uhr
Kuratorenführung: 6. Juni, 15 Uhr; 24. Mai, 18.30 Uhr || Dialogführung »Der BauhausBuddha«: 28. April / 26. Mai, 16 Uhr
13. Mai, 10.30–12.30, 14–17 Uhr: Eye-TrackingExperimente | 29. Mai, 18.15 Uhr: Vortrag Dietrich Wildung über Altägypten im Werk Paul Klees, Staatl. Museum Ägypt. Kunst, Gabelsberger Str. 35 || Der Katalog (Hirmer, 456 S., 385 Abb.) kostet 39,90 Euro | Weitere Veranstaltungen und Informationen

PAUL KLEE. LANDSCHAFTEN
Franz Marc Museum| Franz Marc Park 8–10,
82431 Kochel am See | bis 10. Juni| Di–So/Fei 10–18 Uhr | Der Katalog (Hirmer, 144 S., 45 Abb.) kostet 22 Euro
www.franz-marc-museum.de
Tagesausflüge in beide Museenmit Bustransfer, Führungen, Kaffee und Kuchen (40 Euro): 29. April/3. Juni, 10–16 Uhr
Anmeldung: info@franz-marc-museum.de

 


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