Die Texte von Heinrich Steinfest polarisieren – die einen lieben ihn, die andern fühlen sich erschlagen von einer Überfülle an Skurrilitäten. Ende April liest der Autor bei Lehmkuhl aus »Die Büglerin«.
Heinrich Steinfest: »Die Büglerin«
Absurde Überraschungen
Wahrscheinlichkeiten sind in seinen Romanen irrelevant. In den literarischen Welten des Heinrich Steinfest tanzen die Zufälle Pogo. Der Erfinder des einarmigen Detektives Cheng, der als Autor durch alle Genres surft, hat eine große Fangemeinde, die ihn für seine narrativen Paradoxien und Pirouetten bewundert. Seine Kritiker dagegen monieren, er sei allzu sehr in die eigene Fabulierlust verliebt. Wer sich als Späteinsteiger in sein Werk einliest, staunt erst einmal, wie souverän hier einer die Grenze zwischen Alltagswirklichkeiten und dem Surrealen durchlässig macht. Steinfests Bücher sind im besten Fall Wundertüten voller absurder Überraschungen. Manchmal aber erschlägt einen sein Einfallsreichtum wie in seinem neuen Roman, der um Schuld und Sühne und das Thema des Erbens kreist.
»Die Büglerin« ist ein bizarrer Krimi, eine platonische Liebesgeschichte mit Romantik-Anleihen und ein ironiegewürztes Märchen mit einer kräftigen Prise Esoterik. Im Zentrum steht die Meeresbiologin und sagenhaft reiche Erbin Tonia Schreiber. Weil sie nicht verhindern kann, dass ihre Nichte durch die Kugeln eines (vermeintlichen) Attentäters stirbt, auf dessen Brust ein mysteriöses Malewitsch-Quadrat prangt, wird Tonia von Schuldgefühlen gequält. Um Buße zu tun, beschließt sie zu »verarmen« – was ihr allerdings nie wirklich gelingt. Sie verschenkt ihr Vermögen und bricht nach Hamburg auf. Im Zug trifft sie eine ältere Dame, die sie schwupps als Haushälterin engagiert und zu ihrer Erbin macht. Auch dieses Vermögen verschenkt sie und wird Büglerin in Heidelberg. Keine gewöhnliche, versteht sich, sondern eine Künstlerin mit erlesenem Kundenkreis, die Dessous »mit einer Vorsicht glättet, mit der man wohl im Märchen einen verknitterten Engel in einen würdigen Zustand zurückversetzt«. Tonia findet einen Seelenfreund in dem Gemüsehändler Dyballa, der beim Pilzesäubern den Pinsel wie ein Maler schwingt und für dessen Laden eine halb blinde Oma kostenlose Torten von »töpferischer Qualität« backt.
Im weiteren Verlauf des Romans führt ein schwarzes Quadrat auf einem Hemd zu einem Russen, der ein ebensolches auf der Brust trägt, ein Ex-Spion und Samenspender mit diversen muttermalgezeichneten Erben. Es gibt einen Opfertod im Meer, der ein Leben im Gebirge rettet und zum Finale einen hereinhuschenden freundlichen Geist. All die aberwitzigen Pointen und Koinzidenzen aber darf und kann man hier nicht ausplaudern.
Steinfest, der 2016 für »Das Leben und Sterben der Flugzeuge« den Bayerischen Buchpreis erhielt, versteht es, gewitzt und unterhaltsam zu erzählen. Doch auch sprachlich kann er sein Talent nicht zügeln. Immer wieder wirkt sein Stil manieriert und originalitätssüchtig, wenn er etwa die ersten weißen Haare eines Mannes schildert, »die wie versprengte Nachtwächter das Dunkel durchwanderten«, oder einen laufenden Fernsehapparat, »durch den die Welt wie eine angeschossene Taube auf das Frühstück fiel.« Halt, es reicht!, möchte man ihm zurufen angesichts der Überfülle an absonderlichen Vergleichen und skurrilen Wendungen. Steinfest-Fans aber werden »Die Büglerin« wahrscheinlich trotzdem oder gerade dafür lieben.||
HEINRICH STEINFEST: DIE BÜGLERIN
Piper, 2018 | 288 Seiten | 20 Euro
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