Das Saarländische Staatsballett bringt ein großes Stück Tanzgeschichte wieder zurück.
»Ein vollkommen durchorganisiertes Chaos der Gewalt und Lust«, befand der Kritiker der Uraufführung, Horst Koegler. Was im April 1971 auf der Bühne der Westberliner Akademie der Künste zu erleben war, das verband sich mit dem Artaud’schen Schlagwort vom »Theater der Grausamkeit«, mit den Einflüssen Jerzy Grotowskis und des Living Theatre und mit den Gewaltszenen des Beatrice-Cenci-Films von Lucio Fulci, der ein knappes Jahr vor Bohners Stück in die deutschen Kinos gekommen war. Es war die Intensität der inszenierten körperlichen und seelischen Qual der brutal gefolterten Frau, die aufrüttelte und die ohne den offensichtlichen agitatorischen Impetus daherkam, der die zeitgleich entstandenen Stücke von Hans Kresnik auszeichnete. Letzterer hatte sich »Ballett kann kämpfen« auf die Fahnen geschrieben, der stillere, um Form ringende Gerhard Bohner, 1936 geboren und damit drei Jahre älter als Kresnik, hätte formulieren können: Ballett kann Unrecht fühlbar werden lassen. Aber das wäre schon wieder zu kompliziert geworden.
Denn hier tanzt das weibliche Opfer, das zur Täterin wird, im klassischen Spitzenschuh. Hier wird eine traditionelle Geschichte erzählt, wenn auch nicht linear. Sie geht zurück auf die schon von Shelley und Stendhal bearbeitete Passion der 1577 in Rom geborenen Beatrice Cenci, die sich gegen die Misshandlungen durch ihr Umfeld mit der Ermordung ihres Vaters rächt und dafür 1599 hingerichtet wird.
Gerhard Bohner hat mit »Die Folterungen der Beatrice Cenci« nicht nur Tanzgeschichte geschrieben. Er hat Münchner Tanzgeschichte geschrieben. Nicht nur, weil Frank Frey bei der Uraufführung den Vater tanzte – und weil sich Colleen Scott und Ivan Liška bei der Einstudierung des Stücks in Düsseldorf kennengelernt hatten – sie tanzte die Hauptrolle, er den Liebhaber Guerra. 1972 kam die Produktion beim Ballett der Bayerischen Staatsoper heraus. In der Titelrolle Konstanze Vernon. Sie setzte es, dann als Direktorin des Bayerischen Staatsballetts, wieder 1990 auf den Spielplan, erneut übernahm Bohner selbst die Probenarbeit. Damals notierte Cherie Trevaskis das gesamte Stück und rettete es so in der letzten Fassung des 1992 gestorbenen Choreografen für die Nachwelt. Mit dieser Notation erarbeitete das Saarländische Staatsballett seine »Cenci«, deren Titelrolle nun wiederum eine wohlbekannte Münchnerin tanzt: Zuzana Zahradníková war von 1999 bis 2016 im Ensemble des Bayerischen Staatsballetts und ist nun Tänzerin in Richard Siegals Kompanie Ballet of Difference. Allein das ist schon einen Besuch des von Access to Dance veranstalteten
Abends wert!
Komplettiert wird er von einem Werk des Saarbrücker Ballettchefs Stijn Celis, der zuletzt bei »Minutemade« im Gärtnerplatz dabei war und einen Kasten Bier springen ließ. Hier nun steuert er mit »Your Passion is Pure Joy to Me« eine vergleichsweise tiefenentspannte Studie stabilisierenden Pendelns bei. Beiläufig in den Raum fließend. Schön. ||
GERHARD BOHNER: DIE FOLTERUNGEN DER BEATRICE CENCI
STIJN CELIS: YOUR PASSION IS PURE JOY TO ME
Gasteig, Carl-Orff-Saal |4./5. April | 20 Uhr
Einführung 19.30 Uhr | Tickets: 089 54818181
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