Kleiner Raum, große Oper – der »Orfeo« im Hofspielhaus.
Mit »L’Orfeo« schuf Claudio Monteverdis 1601 das Initialmoment der Oper und hob den Urmythos der Musik erstmals theatralisch auf die Bühne: Orfeo erweicht mit seinem Gesang die Götter und darf Eurydike aus den Tiefen der Unterwelt ins Leben zurückzuführen – erst sein ungläubiger Blick zurück verbannt seine Liebste auf ewig vom Leben. Die antike Fabel ist eine Parabel auf Themen des Lebens selbst – Liebe, Tod, Sehnsucht, Un/Glaube – und von unheimlicher Aktualität. Das zeigt das Hofspielhaus ab 14. März in seiner Eigenproduktion »ORFEO – eine transkulturelle Oper«. Die Regisseurin Annette Lubosch nutzt den mythischen Stoff als Ausgangslage für eine mehr als zeitgemäße Neuinterpretation: So wie Orfeo aussichtslos getrennt ist von seiner Eurydike, so liegt zwischen den heutigen Flüchtlingen und ihren Lieben in der Heimat ein Weg, der dem Gang durch die Unterwelt in nichts nachsteht. In dieser Aktualisierung wird der Liebeswahn von religiösem Eifer abgelöst und werden die westlichen Regierungen zu weltlichen Göttern, die über das Schicksal der getrennten Liebenden entscheiden, während moderne Grenzkontrollen Cerberus, den mythischen Grenzwächter zwischen Leben und Tod, abgelöst haben.
Lubosch verbindet Mythos und Realität, indem sie das orphische Sujet um eine Rahmenhandlung ergänzt: Am Meer sitzend erzählt Al Mustafa einer Gruppe Geflüchteter eine Variation der antiken Fabel. In dieser Version verfällt Eurydike einem religiösen Wahn, der sie ins zerbombte Syrien führt; auf Rat von Amor und Al Mitra folgt Orfeo seiner Liebsten. Zurücknehmen darf er sie auf Geheiß von Pluton und Charon nur, wenn auf dem gesamten Heimweg jeder Blickkontakt vermieden wird. Die Botschaft dieser Produktion ist nicht schwer zu verstehen. Plakativ ist sie trotzdem nicht, sondern bittere Wahrheit: Das Stück will zeigen, dass angesichts der »massiven Rückkehr populistischer und nationaler Debatten […] kulturelle Eindeutigkeit innerhalb einer globalisierten Welt eine Illusion ist.« Oper war immer mehr als ein autonomes Kunstvergnügen, immer auch eine Bühne der Politik, während die Sprache der Musik mehr als andere in der Lage ist, Mauern und Grenzen zu überwinden – weil sie universal und transkulturell verständlich ist.
Durchweg renommierte Interpreten sorgen dafür, dass die Kunst nicht vom politischen Moment überholt wird. Die musikalische Leitung hat der Münchner Dirigent Norbert Groh inne, der mit seinen Darstellern eine Collage aus verschiedenen Vertonungen des Stoffes auf die Bühne hebt: von Claudio Monteverdi über Carl Heinrich Graun und Christoph Willibald Gluck bis zu Joseph Haydn; dazu kommen Texte aus Büchern von Khalil Gibran, Abu Temmam und Orhan Pamuk. Mit Sela Bieri als Eurydike und Cornelia Lanz als Orfeo verfügt die Produktion über bestens ausgebildete Sängerinnen. Dazu kommen Schauspieler, die nicht nur Qualität, sondern auch dem Sujet entsprechend Authentizität versprechen: der Iraker Ayden Antanyos agiert als Al Mustafa, die Syrerinnen Wissam Kaneieh als Amor und Walaa Kaneieh als Al-Mitra, ihre Landsmänner Maher Hamida als Pluton und Mazen Mohsen als Charon. ||
ORFEO – EINE TRANSKULTURELLE OPER
Hofspielhaus| 14., 16., 20., 21. März, 6., 7., 12., 13. April| 20 Uhr | Tickets: 089 24209333
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