Der Puppenkünstler, Schauspieler, Kunstpfeifer und Regisseur Nikolaus Habjan aus Österreich ist gerade mal 30. Und schon eine der interessantesten Persönlichkeiten des deutschsprachigen Theaters. Am Cuvilliéstheater kommt seine Version von Marivaux’ »Der Streit« heraus.
Leicht ist es nicht, doch wer sich anstrengt, kommt auf Dinge, die Nikolaus Habjan nicht kann. Zum Beispiel Sich-tief-Verbeugen! Der Verdacht reifte beim zweiten Besuch seines Solos »F.Zawrel – erbbiologisch undsozial minderwertig«.Da klappte er zu den Standing Ovations des voll besetzten Residenztheaters nur leicht und artig den Oberkörper nach vorne. Und bingo! »Ja wirklich«, sagt Habjan. »Ich habe Verkürzungen im Rücken. Da kann man dehnen, so viel man will.« Und er zeigt es, so wie er kurz zuvor gezeigt hat, dass er auch Termine nicht allzu gut kann. Und Mathematik, sagt er. Und Rauchen: Da erstickt er fast. Dafür beweist der Regisseur, Schauspieler, Puppenbauer und -Spieler als Kunstpfeifer langen Atem. Und das zeigt er auch: Habjan spielt sich die Melodie einer Arie kurzerhand über sein Handy zu und pfeift dann so wendig und treffsicher drauflos, dass man mit den Ohren schlackert und sichihm die Gesichtszüge zum Präzisionsinstrument verformen.
Sich beharrlich in den Dienst einer Sache stellen, das ist etwas, was der gebürtige Grazer zweifelsohne beherrscht. Als Fünfjähriger hat er die »Zauberflöte« als Marionettentheater gesehenund wusste: Oper und Puppenspiel, das muss es sein! Mit 15 machte er seinen ersten Workshop bei dem australischen Klappmaulpuppenmagier Neville Tranter, der sein Lehrer, Freund und Mentor wurde. Später studierte Habjan Musiktheaterregie und wurde Kodirektor am kleinen Schubert Theater in Wien, wo er noch als Student den grantigen Hitler-Fan Herr Berni erfand und Qualtingers ekelhaften Opportunisten »Herr Karl« puppenbauerisch und -spielerisch verdreifachte. Die Erfahrung seines jungen Lebens dürfte aber die Begegnung mit Friedrich Zawrel gewesen sein, der als Kind in der Wiener Menschenversuchs- und »Fürsorgeanstalt« Am Spiegelgrund nur knapp dem Schicksal entkam, die beachtliche Hirnsammlung des NS-Arztes Dr. Heinrich Gross zu bereichern. Und derselbe Gross, nach dem Krieg zum ersten Gerichtsgutachter Österreichsaufgestiegen, sorgte 33 Jahre später zum zweiten Mal dafür, dass Zawrel der menschenverachtende Stempel aufgedrückt wurde: »erbbiologisch und sozial minderwertig«! – Und weitere sechs Jahre Gefängnis.
Doch statt eines »schwerst Traumatisierten« traf der damals 24-jährige Habjan am 3. September 2012 einen »wahnsinnig herzlichen Menschen« mit großem Humor und ebenso großer Zuversicht. »Mein Wichtigkeitskanon hat sich durch ihn verschoben«, sagt Habjan. Wenn er sich heute über etwas aufregen will, denkt er an Zawrel: Und tut es dann meist nicht und manchmal erst recht. »Friedrich«, sagt er – und es klingt erstaunlicherweise gar nicht pathetisch – »hat mir sein Leben geschenkt« – und seiner Karriere den entscheidenden Schub gegeben: 2012 bekamen er und sein Regisseur Simon Meusburger den Nestroy-Preis für »F. Zawrel«. Es war das Jahr, in dem Habjan mit einer Shakespeare-Puppe erstmals auf der Bühne des ehrwürdigen Burgtheaters stand: »Und danach waren auch unsere alten Stücke plötzlich viel mehr wert. Und mit dem Nestroy-Preis hatten wir sozusagen das AMA-Gütesiegel«. Ein österreichisches Qualitätsprodukt.
Im Auftrag seines 2015 verstorbenen Freundes spielt Habjan sein Herzensstück immer weiter: für die nachkommenden Generationen, die diesem so am Herz lagen. Der alte Mann hat der Zawrel-Puppe mit den »großen Ohrwaschln« (Zawrel über Zawrel) »sein Gewand, seine Brille, seinen Stock und seine Schlapfen vermacht«. Die trägt sie jetzt auf der Bühne. Und auch dem, der das nicht weiß, wird das Herz beim Zuschauen abwechselnd hüpfen und brechen, weil man Theater im Superlativ erlebt und zugleich die ganze Spannweite dessen, wozu Menschen fähig sind. »Man bürdet sich mit dem Stück viele Fremdemotionen auf«, sagt Habjan und meint sich selbst, denn er verleiht ihnen ja ganz allein Stimme und Seele: dem alten und dem kleinen Zawrel, mehreren Versionen von Dr. Gross und dem sadistischen Pfleger Dvorak. Alles von ihm selbst gebaute Klappmaulpuppen, hinter denen der sonst den Kontakt zum Publikum Suchende bei diesem Stück in Deckung geht wie hinter diesem »man«. Es zu spielen, sei leichter geworden, sagt er, aber nicht leicht. »Ich muss immer noch jeden Abend weinen, kenne aber mittlerweile die gefährlichen Stellen.«
An Zawrels Grab aber, wo er auf dessen Wunsch auch mit der Puppe stand, versagte ihm die Stimme. Da, sagt er – wie zum Abstandnehmen in den steirischen Singsang wechselnd: »Da hab ich mir’n bissl in die Hosn gschissn.« In der Aufzeichnung sieht man förmlich, wie die Erinnerung an Güte und Witzdes alten Mannes sich an der Trauer um sein Nicht-mehr-da-Sein reibt. Doch auch noch Rotz und Wasser heulend vergisst Habjan die Puppe nicht, die verständnisvoll auf ihren Puppenspieler blickt. Das zeigt die beinahe unheimliche Begabung dieses zart wirkenden 30-Jährigen, dessen Geschöpfe auf den großen Bühnen Österreichs inzwischen so präsentsind, dass sie jüngst ein Schauspieler explizit in eine Reihe mit Kindern und Tieren stellte, neben denen der Mensch auf der Bühne bekanntlich verblasst. Und auch Elfriede Jelinek schickt neuerdings das junge Genie mit ihrem Puppendouble vor, wenn sie den Nestroy- oder Faust-Preis gewinnt. Über Jelinek, die er gut kennt, über die letzten Monate Zawrels, in denen er ihn fast täglich besuchte (ja, auch Freundchaft kann er!), und die Wiederkehr des braunen Sumpfes in Österreich, wo »nicht politisch benutzbare« Flüchtlinge abgeschoben und der Begriff »Heimatschutz« und der 12-Stunden-Tag wieder eingeführt werden, könnte man mit dem Mann, der für seine klare politische Meinung schon Morddrohungen bekam, ewig sprechen.
Doch da ist ja noch Marivaux’ »Der Streit«, das am 13. Januar im Cuvilliéstheater Premiere hat. Und anders als bei Carl-Maria von Weberns »Oberon«, Habjans Regieeinstand an der Bayerischen Staatsoper mit überraschend ähnlichem Plot, steht der Regisseur hier auch wieder selbst auf der Bühne: Neben den puppenspielenden Schauspielern Oliver Nägele, Mathilde Bundschuh und Arthur Klemt und den Modellpuppen für Maler des 18. Jahrhunderts nachempfundenen »Kin der«-Figuren, die nur durch ihre rauen, gemacht wirkenden Oberflächen Habjans Handschrift verraten. Wogegen die Klappmaulpuppen des Fürsten und Hermianes, die mit Menschenversuchen herausfinden wollen, welches Geschlecht die Untreue in die Welt gebracht hat, schon Habjan-typischer sind: »Die sind mir etwas ins Groteske gerutscht«, bemerkt er vergnügt. »Aber das passt! Der Stücktextist derart kühl und theoretisch, dass ich ihn nie mit Schauspielern machen wollen würde. Mit stilisierten Puppen kann sich aber zusammen mit dem stilisierten Text eine ganz eigene Wahrhaftigkeit ergeben. Bei Camus’ ›Das Missverständnis‹ ist das prima aufgegangen.«
Parallel zur Arbeit in München entwickelt Habjan in Züricheinen Georg-Kreisler-Abend, im März hat ein Stück über den Dirigenten Karl Böhm in Graz Premiere. Zwischendurch füllen seine Dauerbrenner »F. Zawrel«, »Herr Karl«, die mit der Musicbanda Franui entstandenen Liederabende und er selbst als Kunstpfeifer im Handumdrehen Saal um Saal. Und auch die Stelle als Hausregisseur »an einem großen deutschen Opernhaus« winkt. Weil so viele laufende Stücke seine Gegenwart auf der Bühne verlangen und er auch Bilokation (noch) nicht kann, verlockt Nikolaus Habjan das »Nur«-Regieführen derzeit besonders. Denn: »Ich habe wahnsinnig gerne Theater und bin auch deshalb Regisseur geworden, um es mir anzuschauen.« Das sei ihm gegönnt! ||
DER STREIT
Cuvilliéstheater| 13. Jan.| 19.30 Uhr | 14. Jan.| 19 Uhr
15.–17. Jan., 6.–9. Feb.| 20 Uhr | Tickets: 089 21851940
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