»Volpone«, »Alice« und »Für immer schön« sind nur drei von vielen Stücken, die Sie derzeit in München erleben können. Mehr in der aktuellen Ausgabe
Alice
von Christiane Wechselberger
Als das Metropoltheater 1998 mit Robert Wilsons und Tom Waits’ »Black Rider« in der Regie von Jochen Schölch eröffnete, war das ein fulminanter Erfolg. Die Latte liegt also hoch, wenn Regisseur Philipp Moschitz nun Wilsons/Waits’ Adaption von »Alice im Wunderland« inszeniert. Die ist weniger Nacherzählung des Kinderbuchs von Lewis Carroll, auch wenn die bekannten Figuren auftauchen. Vielmehr greift sie die Geschichte hinter dem Buch auf, die Obsession von Charles Dodgson alias Lewis Carroll für das Kind Alice Liddell, das Dodgson auch fotografierte. Und so wird Alice in der ersten Szene fürs Foto zurechtgerückt wie eine Puppe. Die sie im Metropoltheater mit blausilberner Gesichtsmaske (Puppenbau: Lorenz Seib) auch ist. Zumindest ein Teil von ihr. Der andere Teil dieser Alice auf der Suche nach sich selbst und raus aus der (Alb-)Traumwelt ist die in sich ruhende Vanessa Eckart. Einerseits Beschützerin des kleinen Mädchens, versteckt ihre Alice sich auch hinter der Puppe oder trägt sie als Last mit sich herum.
In Wilsons/Waits’ Interpretation entführt Dodgson (Thomas Schrimm als tapsiges Monstrum) das Mädchen zum Schutz vor seinem missbräuchlichen Begehren in ein von ihm imaginiertes Wunderland, wo er ihr als Kaninchen und weißer Ritter zur Seite steht. Thomas Flach hat dafür ein geniales Bühnenbild erdacht. Auf einem Podest dreht sich leicht versenkt ein Kreis, der wie das Kaninchenloch alles aufsaugen, aber auch ausspucken kann. Dem Kreis ist ein Rechteck mit zwei Schiebetüren eingefügt, das gibt dem Ensemble unzählige Möglichkeiten zum Auftauchen und Verschwinden, bildet seltsam schiefe, beengte, sich bewegende Räume. Eine wahre Wundermaschine.
Aus der quellen all die schrulligen, versponnenen, verrückten Gestalten mit ihren herrlichen Nonsens-Wortspielen und lautmalerischem Unsinn, denen Cornelia Petz allerhand Seltsames angezogen hat. Nathalie Schott ist eine laszive Raupe und als Herzogin mit einer vogelwilden Turmperücke unterwegs. Maria Hafners Königin jodelt als Elisabeth-II-Lookalike und betrachtet verliebt den Schatz in ihrer Handtasche, bevor sie ihr fideles »Kopf ab!« schrillt. Den irrsten Blick setzt Patrick Nellessen als Hutmacher auf. Die höchsten Sprünge macht Nick Robin Dietrich als Reh. Am graziösesten windet Sebastian Griegel als Rose sich im konkurrierenden Blumenballett mit Lilie (Hafner) und Gänseblümchen (Nellessen und Dietrich). Katja Wachters Choreografie formt aus den Händen der Schauspieler eine sich öffnende Blüte und hat Moschitz’ bildstarke Inszenierung auch sonst mit ausgeprägtem Bewegungsvokabular und vergnüglichen Tanzstrecken versehen. Tom Waits’ Ministrantensong kulminiert mit Haddaways »What is love« zu einem bitter-komischen Ministranten-Missbrauchsballett mit Dodgson als Schmerzensmann.
Waits’ raue Balladen und zirkushafte Lieder trägt das Ensemble problemlos. Vor allem Vanessa Eckart, Nathalie Schott und Sebastian Griegel sind gut bei Stimme, und Thomas Schrimm beherrscht den Tom-Waits Reibeisenton. »Alice« hat das Zeug zum neuen Dauerbrenner. ||
ALICE
Metropoltheater| Floriansmühlstr. 5 | 10.–13., 16.–18., 20., 22., 24.–27. Jan.| 20 Uhr | 14., 21., 28. Jan.| 19 Uhr | Tickets: 089 32195533
Für immer schön
von Petra Hallmayer
Die von riesigen Latexvorhängen gerahmte Bühne ist eine knallig pinke Plastikhölle. Hier stöckelt die Kosmetikvertreterin Cookie mit ihrem Musterköfferchen umher auf der Suche nach Kunden. Strahlend verkündet die lebendige Barbie, deren Locken ebenso grellgelb gefärbt sind wie ihr hautenges Kostümkleid, ihre Botschaft von der käuflichen Schönheit und der Perfektibilität der Frau. Eigentlich liegen die besten Tage der Königin der Klinkenputzer bereits hinter ihr, doch Aufgeben gilt nicht. Die Wanderpredigerin des No-Age-Schwindels und Heldin der Selbstausbeutung lebt unbeirrbar den amerikanischen Albtraum unter dem Diktat des positiven Denkens. Sie ist eine Aufziehpuppe, die, sobald sie ermüdet, selbst den Schlüssel wieder umdreht. Sie reibt ihre blutigen Füße, schlüpft zurück in ihre High Heels und läuft weiter, ein perfekt schnurrendes Rädchen im kapitalistischen Getriebe.
Sentimentalitäten und Bindungen sind dabei nur störend. Statt Anteilnahme bietet sie der frisch verwitweten Vera (Katharina Pichler) ihre Produktpalette an. Ohne zu zögern serviert sie den jungen Dan (Nils Strunk, der sämtliche Männerrollen übernimmt) nach einer schnellen Nummer ab und entledigt sich knallhart ihrer bei dem Nachmittags-Quickie gezeugten Tochter Dawn.Wie zickige Furien fallen Cookie und ihre einstige Schülerin und Konkurrentin Heather (Pauline Fusban) übereinander her. Katrin Plötners Inszenierung von Noah Haidles Stationendrama »Für immer schön«, das einen langen »Sommertag und dreißig Jahre zugleich« umfasst, beginnt als eine böse boulevardeske Komödie, die mit manch lustiger Pointe aufwartet.
Wie Juliane Köhler sich tapfer aufrappelt und strafft, ihr Vertreterinnenlächeln anknipst, »Showtime« ruft und ihr Sprüchlein herunterrattert, das ist klasse. Mathilde Bundschuh mimt als Dawn mit feinem, absurdem Witz ein Baby, das sich flugs in ein trauriges, drogensüchtiges Mädchen verwandelt, das
verzweifelt versucht, wie seine Mutter zu sein.Zunehmend allerdings verfängt sich nicht nur das Stehaufpüppchen Cookie, sondern auch die Aufführung in einer endlosen Wiederholungsschleife. Mit Cookie Close schickt der hochgehypte amerikanische Dramatiker Haidle eine späte Schwester von Arthur Millers Handlungsreisendem auf die Bühne, doch ohne die tragische menschliche Dimension eines Willy Loman, dafür bleiben der Text und seine Figuren zu vordergründig. Katrin Plötners Entscheidung, diese von Beginn an in eine surreale lollypopbunte Comicwelt zu stecken und schrill zu überzeichnen, wirkt zwar zunächst sehr effektvoll, erweist sich aber als Falle. Ziemlich rasch hat uns der Abend alles erzählt, was er zu sagen hat. Was danach kommt, sind nur noch szenische Variationen, die der Geschichte nichts Substanzielles hinzufügen. Allzu früh und krass stellt die Inszenierung die Zeichen von Cookies Niedergang aus. Wenn die Blutflecken auf ihrem Kleid zahlreicher und die Ringe unter ihren Augen dunkler werden, sie zu einem gespenstischen Wrack mutiert, das schließlich erblindet umhertorkelt und sich sein eigenes Grab schaufelt, dann tangiert einen das leider nicht mehr. ||
Für immer schön
Residenztheater – Marstall| Marstallplatz 5
7. Jan.| 19 Uhr | 23., 26. Jan.| 20 Uhr
Tickets: 089 21851940
Volpone
von Petra Hallmayer
Wer viel hat, dem wird noch mehr geschenkt. Alle Welt buhlt um die Gunst des reichen Volpone. Wirklich genießen allerdings kann der Geizhals seine Schätze nicht, dem nur eines echte Befriedigung verschafft: Er will die Niedertracht und Dummheit seiner Mitmenschen entlarven, sie betrügen und demütigen. Mithilfe des Schmarotzers Mosca täuscht er vor, sterbenskrank zu sein, um die Erbschleicher anzulocken. Die Bühne (Vincent Mesnaritsch) ist mit weißen Blumengestecken wie für eine Beerdigung geschmückt. Mit theatralischen Gesten bewegt die Schmeißfliege Mosca die Lippen zur Händel-Arie »Lascia ch’io pianga«, ehe der Fuchs Volpone quicklebendig hereinspringt. Zumeist aber hält sich Abdullah Kenan Karaca dicht an die Vorlage. Er präsentiert Stefan Zweigs Bearbeitung von Ben Jonsons »Volpone« nicht wie Herbert Fritsch als grell durchgeknallte Farce, sondern zeigt eine sanft modernisierte klassische Komödieninszenierung. Das ist bei einem jungen Regisseur erst einmal verblüffend. Doch wenn man sich nicht mit ideologischen Vorbehalten dagegen sperrt, funktioniert es ziemlich gut. Wir erleben zwar keinen aufregend aktuellen, aber einen schwungvollen, intelligent unterhaltenden Theaterabend über eine geldregierte Gesellschaft.
Für das Erbe sind die Gierschlunde zu allem bereit. Corbaccio enterbt seinen Sohn zugunsten Volpones, Corvino tritt ihm seine Gattin Colomba für ein Schäferstündchen ab. Als Volpone über sie herfällt, wird er von dem tumben Kraftkerl Leone (Yannik Stöbener) ertappt. Doch vor Gericht erwirkt der Rechtsverdreher Voltore einen Freispruch.Karaca beherrscht sein Handwerk, zitiert und variiert alle Komödienmittel souverän. Natürlich darf da auch Klamauk nicht fehlen, aber er dosiert ihn so, dass es nie nervt. Angereichert ist die Inszenierung mit feinen Pantomimen und witzigen Akzenten. Carolin Hartmanns Colomba ist kein frommes Lämmchen, sondern bietet ihrem Mann energisch keifend und kreischend Kontra. Zu »I, Yi, Yi, Yi, Yi (I Like You Very Much)« tänzelt Nina Steils heiratswütige Canina herein.
Die Schauspieler, die verfremdete Renaissancekostüme (Elke Gattinger) tragen, haben sichtlich Freude an dem komödiantischen Spiel mit karikierenden Überzeichnungen: Silas Breiding als prächtig gehässig geifernder Volpone, Jonathan Hutter als Giftzwerg Corvino mit blitzenden Stechaugen, Jonathan Müller als Geier Voltore, Peter Mitterrutzner als geldgeiler Greis Corbaccio und Jakob Immervoll als pfiffiger Strippenzieher Mosca. Zu sehen, wie dieses Springinkerl, sich wieselflink windend, alle umschwänzelt und ihnen auf der Nase herumtanzt, macht richtig Spaß. Im Gegensatz zu seinem Herrn ist für Mosca Geld dazu da, es auszugeben. Am Ende verfängt sich Volpone in den Fallstricken seiner Bosheit. Als letzten Streich fingiert er seinen Tod und setzt Mosca als Alleinerben ein. Der aber trickst ihn im turbulenten Finale aus, das in eine überraschende Pointe mündet. ||
VOLPONE
Volkstheater| 8., 21. Jan.| 19.30 Uhr
Tickets: 089 5234655
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