Härte statt Befindlichkeit: Helmut Käutners »Schwarzer Kies« zeichnet ein BRD-Bild der Adenauer-Jahre jenseits von Erbauung, Eskapismus und Exotik. Die Veröffentlichung der digital restaurierten Fassung ist eine kleine Sensation.
Das Kino der Adenauer-Jahre war bedeutend besser – und erst recht facettenreicher – als viele Filmwissenschaftler es jahrzehntelang wahrhaben wollten. Schlichtweg zu groß wie zu bedeutend war der radikale Neustart durch die »Oberhausener«, die »Münchner Gruppe« und erst recht durch die Trias Fassbinder, Herzog und Wenders, die dem »Neuen Deutschen Film« ab Mitte der 1960er Jahre zu Weltruf verhalfen. Parallel dazu saßen aber zur selben Zeit immer noch viele »Papas« – gar »Opas« – von einst zum Beispiel in den Berliner CCC-Ateliers von Atze Brauner oder in München-Geiselgasteig. Nicht wenige von ihnen hatten bereits unter Goebbels in dessen perfider UFA-Maschinerie als treu dienende Regisseure gearbeitet oder sich dort zumindest schon ihre ersten Sporen als Assistenten oder Drehbuchautoren verdient.
Unter ihnen war auch ein junger Mann namens Helmut Käutner aus Düsseldorf, dem »Meister des Wenn, Aber und Vielleicht« (Michael Althen), der im heutigen Filmkanon zu Unrecht nur mit seinen großen Nachkriegsfilmen (z. B.»Der Hauptmann von Köpenick«, »Ludwig II.«, »Die letzte Brücke« oder »Des Teufels General«) assoziiert wird. Natürlich schätzen Cineasten und Filmemacher wie Dominik Graf oder Christian Petzold seine verhältnismäßig frei inszenierten, bis heute solitären UFA-Meisterwerke »Romanze in Moll« (1943) und »Unter den Brücken« (1945/46). Trotzdem waren beide Werke im Grunde viel zu lange in den Giftschränken der Filmgeschichte weggesperrt, weshalb dem Namen Käutner im Anschluss in manchen Kreisen der Filmwissenschaft ein gewisser Hautgout anhaftete, was aus heutiger Sicht absolut unverständlich ist. Denn mindestens bis Mitte der 1960er Jahre hinein trat Helmut Käutner im Kino der Adenauer-Jahre als großer Manierist innerdeutscher Befindlichkeiten hervor. Gerade diese Schaffensphase wird seit einiger Zeit – vor allem dankdes Engagements des Kölner Filmkritikers und Kurators Olaf
Möller – zunehmend wiederentdeckt.
Dazu gehören beispielsweise der auffällig dissonante Politthriller »Epilog – Das Geheimnis der Orplid« (1950) mit zahlreichen Film-noir-Elementen, die deutsch-deutsche Geschichte »Himmel ohne Sterne« (1955) mit einem blutjungen Horst Buchholz oder eben »Schwarzer Kies« (1961), der jüngst von der Wiesbadener Murnau-Stiftung sorgfältig restauriert und im Rahmen der Berlinale wiederaufgeführt worden ist. Concorde hat ihn nun in einer schön gestalteten Home-Entertainment-Ausgabe (wahlweise als Blu-Ray oder DVD) in bestechender Bildqualität herausgebracht. In diesem bemerkenswert herb-rauen Genrekinostückchen aus den Zeiten von »Papas Kino« ist nahezu alles anders als in der weithin bekannten Konfektionsware dieser Jahre. Denn die drei großen E-Motive jenes Adenauer-Kinos (Erbauung, Eskapismus und Exotik) sucht man in dieser düsteren Hunsrück-Story um illegale Kiestransporte, seltsame deutschamerikanische Feindschaften und allerhand Zwielichtigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich von Beginn an vergebens. Schwärzer hat die deutsche Seele nie geleuchtet als im Mimenspiel des grandios auftrumpfenden Helmut Wildt in der Titelrolle. »Hart und direkt« sollte dieser letzte UFA-Film sein, so Käutner im Vorfeld des Drehs. Es sollte ein Nachkriegsfilm werden wie kein anderer »mit erotischen und brutalen Realitäten«. Das ist »Schwarzer Kies« in der Tat oder kurzum: ein regelrechter Kinnhaken von einem Film. ||
SCHWARZER KIES
BRD 1961 | Regie: Helmut Käutner | Mit: Helmut Wildt, Ingmar
Zeisberg, Hans Cossy u. a. | 117 Minuten | Erhältlich als DVD und
Blu-Ray ab 16,99 Euro
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