Die deutsche Hip-Hop- Prominenz gibt sich in München die Klinke in die Hand. Zeit für einen Überblick.
Studentischer Mittelschichts-Hip-Hop aus Städten wie Hamburg, Stuttgart oder München versus Prekariats-Aggro-Rap aus der Hauptstadt Berlin: Zwischen diesen Polen hatte man Ende der 1990er die Wahl, als mit Berliner Rüpeln wie Kool Savas, Sido oder Frauenarzt ein neues Paradigma im deutschen Hip-Hop aufkam. Als Warmduscher- oder Studentenrap wurden damals Truppen wie Freundeskreis oder Blumentopf beschimpft, weil sie den Berlinern zu wenig »Straße« oder »Hardcore« waren. Und dass nach den Freunden nun auch die Töpfe offiziell aufgelöst sind, könnte man, wenn man so will, als späten Sieg der Aggro-Fraktion sehen. Denn Kool Savas und Sido sind beide noch gut im Geschäft. Gemeinsam stellen sie am 7. Januar live im Münchner Zenith ihr Album »Royal Bunker« vor. Dessen Titel bezieht sich auf eine Kellerkneipe in Berlin-Kreuzberg, in der sich 1997 Freestyle- und Battle-Rapper trafen und aus deren Geist das gleichnamige, im Jahr 2009 aufgelöste Rap-Label entstand. Mit »Royal Bunker« würdigen Kool Savas und Sido also den 20. Geburtstag ihrer einstigen Startrampe, und sie blicken gleichzeitig auf ihre teilweise ähnlichen Karrieren zurück. Das gerät genretypisch zu einer nostalgischen Ich-Ich-Ich-Botschaft, weitgehend ohne Augenzwinkern. »Zwei der besten, die es je taten, zwei der besten, die je gelebt haben, wenn sie sich weigern, uns zu feiern schreit: Saaavaas / Siiidooo!«, heißt es dementsprechend gleich im ersten Song. Und im Selbstbeweihräucherungston geht es über weite Strecken weiter.
Mit prekärem Aggro- oder Gangsta-Rap hat das alles nicht mehr viel zu tun, schließlich sind (Kool) Savas Yurderi und Paul Hartmut Würdig alias Sido längst in dem Mittelschichts-Mainstream angekommen, gegen den sie noch vor 20 Jahren mit brachialen Texten angingen. Auch musikalisch klingt ihr Mix eher altmodisch, zumindest wenn man ihn mit experimentellen US-Hip-Hop-Acts wie Gonja Sufi, Shabbaz Palaces oder auch Kanye West vergleicht. Während die Pioniere in Amerika mit virtuosen Samplingtechniken und Genre-Mixes an einer Art Metamusik basteln, setzt man im Land der Dichter und Denker weiterhin vorwiegend auf gewitzte oder provokative Verse. Das ist nicht neu und im Fall von Sido und Savas auch nicht wirklich pfiffig. In puncto Provokation sind andere Hip-Hopper inzwischen besser.
Zum Beispiel Kollegah und Farid Bang (8. Januar im Zenith). Die beiden Düsseldorfer Rapper nennen sich als Kollaborationsprojekt »Jung, brutal, gutaussehend« und sind, wie es sich für Gangstas gehört, so richtig böse Buben. Einige ihrer Texte wurden indiziert, weil frauenfeindlich oder homophob. Kollegah, der eigentlich Felix Martin Andreas Matthias Blume heißt, gibt sich als Schläger-Pimp, spielt mit Stereotypen der organisierten Kriminalität, nennt sich »der Boss« oder »Westdeutschlands King« und hält sich einen Butler namens »Frederic«. Farid Bang wiederum ist neben frauenfeindlichen Texten durch seine »Diss-Tracks« aufgefallen, in denen er in der Tradition des Battle-Rap Beleidigungen gegen Kollegen wie Sido oder Fler austeilt. Das ist Muskelspiel, stilisierte Vorstadtpubertät mit der dicken Hose überquellenden Testosterons. Vor einem halben Jahrhundert hätte man die Jungs Halbstarke genannt, und damals hätten sie eher noch Opposition verkörpert. Die Vers-Protze von heute hingegen sind Profiteure einer offenen Gesellschaft, die längst ebenso tätowiert daherkommt wie die vermeintlichen Bahnhofsviertelluden selbst. Sie texten und verdienen gut, sie rappen sich auf Nummer eins, bekommen Angebote. Farid Bang zum Beispiel konnte man in allen drei »Fack ju Göhte«-Filmen in einer Nebenrolle sehen. Kollegah wiederum behauptet schon mal in einem Interview, dass er mit seiner Musik eigentlich Grundwerte wie Zielstrebigkeit, Ausdauer und Geduld für ein »sauberes und erfolgreiches Leben« vermitteln will. Das wirkt wie ein Widerspruch zur Gangsta-Haltung und klingt vielmehr nach dem perfekten Bildungsauftrag für neoliberale Zeiten. Ironie? Vielleicht. Realität? Schon eher. Denn wer am frechsten abzockt, der gewinnt. In der Wirtschaft wie im Rap.
Dass es auch anders geht, ohne Machismo oder verkappten Neoliberalismus, zeigen Projekte wie die Antilopen Gang oder Zugezogen Maskulin. Beim Berliner Hip-Hop-Duo Zugezogen Maskulin (17. Januar im Strom) gibt es zwar ebenfalls Gangsta-Rap und Machoposen, aber diese werden bewusst als Klischees übersteigert. Mit ihrem Namen spielen Grim104 und Testo auf die Rap-Antagonisten Westberlin Maskulin (Kool Savas und Taktloss) sowie Südberlin Maskulin (Fler und Silla) an, die sie genauso wie andere Aggros parodieren. Ähnlich wie die Antilopen Gang machen Zugezogen Maskulin im Grunde Punk im Gewand des Hip-Hop. Und sie prangern in ihren Texten eine entpolitisierte, konsumfixierte Welt an, in der sich die Menschen in Nichtigkeiten verlieren. Dabei teilen sie wie ihre Gangsta-Kollegen nach fast allen Seiten aus. Aber sie treten nicht nach unten, sondern zielen in die Mitte der Gesellschaft. Ein gutes Beispiel dafür ist »Beate Zschäpe hört U2« von der Antilopen Gang. Der Song des in Düsseldorf und Aachen beheimateten Trios (22. Dezember in der Muffathalle) sorgte 2014 für Zunder. Aber nicht weil Koljah, Panik Panzer und Danger Dan darin Minderheiten diskriminieren, sondern stattdessen mit bissigem Humor die Verbreitung von rechtem Gedankengut in der bürgerlichen Mitte zum Thema machen. Das erfordert mehr Mut als Minderheitenbashing. Auch wenn es politisch wahrscheinlich nichts verändert, sorgt die Antilopen Gang auf diese Weise zumindest ein Konzert lang für eine bessere Welt, mit höchst unterhaltsamer, anarchischer Hip-Hop-Pop-Punk-Sause. Es geht also auch so. ||
ANTILOPEN GANG | SIDO & SAVAS
KOLLEGAH & FARID BANG | ZUGEZOGEN MASKULIN
Muffathalle| 22. Dez.|| Zenith | 7. Jan.
Zenith| 8. Jan.|| Strom | 17. Jan. | je 20 Uhr
Tickets: 089 54818181 | 0186 570070
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