Kunst und Landschaft aus finnischer Perspektive – um 1900 und heute – zeigen zwei Ausstellungen in Dachau.
»Herrlicher grauer Tag; Weib auf dem Acker, gegen die Luft – Millet. Bleiben auf der Brücke, die dort über den Kanal führt, stehen, nach allen Seiten die köstlichsten Bilder.« So schildert Otto Modersohn das gemeinsame pittoreske Landschaftserlebnis mit Fritz Mackensen und Hans am Ende im Teufelsmoor – das 1889 zur Gründung der Künstlerkolonie Worpswede führte. Der Ursprungsmythos von Önningeby erzählt von einer noch rascheren Entscheidung. Dem finnische Maler Victor Westerholm ging nämlich der Gauldurch, als er 1884 in Lemland auf den Ålandinseln kutschierte. Das Pferd bremste erst beim Kanal, der 1882 für die Schifffahrt zwischen Mariehamn und dem Festland gebaut worden war. Und da stand ein Häuschen, das als Laden für die Bauarbeiter gedient hatte. Westermann ließ seine Blessuren behandeln – und pachtete sofort das Haus, das er Tomtebo (Wichtelheim) taufte, kaufte später die Parzelle. Westerholm war viel herumgekommen, er hatte seit 1878 an der Düsseldorfer Akademie studiert, danach in Paris an der Académie Julian, aber Önningeby war für ihn nun »der beste Platz auf der ganzen Welt zum Malen«.
Nach seinem Diplomabschluss in Düsseldorf 1886 errichtete Westerholm auf der anderen Seite der Landstraße noch ein Ateliergebäude. Und lud Kollegen ein, die sich in den umliegenden Gehöften des Dorfs einmieteten: Fredrik Ahlstedt mit seiner ebenfalls malenden Frau Nina, die brachten Elin Danielson mit und Hanna Rönnberg; als Literatin hielt Rönnberg später die Erinnerung an den Künstlerort wach. Andere kamen unverhofft, wie der lebhafte und humorvolle Schwede J.A.G. Acke. Der lernte dort, in der Künstlerkolonie, die sich gerade gebildet hatte, seine spätere Frau Eva Topelius kennen. Der Anteil der Malerinnen in Önningeby war erstaunlich hoch, das spiegelt auch die Ausstellung in der Gemäldegalerie Dachau wider. Dachau ist beteiligt an euroArt, einem Verbund europäischer Künstlerkolonien, und hatte zuvor schon Ekensund an der Flensburger Förde, Schwaan bei Rostock, Nidden an der kurischen Nehrung, Tervuren und Oosterbeek in Belgien, Ungarns Künstlerkolonien Nagybánya, Gödöllö etc. und natürlich Worpswede in Ausstellungen präsentiert.
Rustikales Leben in »unberührter Natur«
Nun also, höher im Norden, das finnische Önningeby auf Åland, das im 19. Jahrhundert von Schweden und Russland umkämpft war. Der Erste Weltkrieg bedeutete das Ende der Künstlerkolonie, die auch unter der finnischen Unabhängigkeit nicht mehr revitalisiert wurde. Ein 1992 gegründetes Kunstmuseum im Ort erinnert nun wieder an die Zeit des Aufbruchs. Aus dessen respektablem Bestand stammen auch die Exponate der Schau, die die Dachauer Direktorin Elisabeth Boser kuratiert hat. 22 Künstlerinnen und Künstler sind vertreten: dort prominente und bei uns wenig bekannte, aber auch in Schweden und Finnland vergessene. Der Gründer Victor Westerholm beim Freilichtmalen im Winter – porträtiert von seinem Kollegen Wilho Sjöström –, der »Wintertag in Harjattula« von dem in Paris erfolgreichen (und mit Hanna Römberg verlobten) Schweden Edvard Westman, Helmi Sjöstrands »›Birkenspitze‹im Winter« (mit dem Haus des Dichters Topelius) – diese Gemälde stimmen ein auf die Farben des Schnees. Am feinsten differenziert und zusammenklingend findet man sie in Westmans »Winterlandschaft mit Heuhaufen«. Aber auch Sommerliches findet sich in verschiedenen Variationen: Westerholms Badebucht und sein Boot, Strandlandschaften und Seestücke, Hanna Rönnbergs Garten. Auch Ansichten von andernorts, aus der dänischen Künstlerkolonie Skagen, dem Harz oder aus Paris. Einen zweiten Blick lohnen auch die meist originalen Rahmen der Zeit, teils reich beschnitzt mit Pflanzendekor.
In Abkehr von den Kunst-Regelements der staatlichen Akademien suchten die Künstler »malerische« Landschaften, »unberührte« Natur und ein rustikales, sprich günstiges Leben. In der Nähe der Stadt, denn dort waren die Ausstellungshäuser, Kunstvereine, Galerien und Sammler. Und die Akademien, an denen sukzessive Professuren für Landschaftsmalerei eingerichtet wurden. Erst nahmen die Maler für ihren Sommeraufenthalt Herberge in Gasthäusern, wie im Wald von Fontainebleau, dessen berühmter Malerort Barbizon seit 1830 als Vorbild aller späteren Künstlerkolonien gilt. Oder sie mieteten Zimmer und Häuser. Dann siedelten sich die ersten an, Kollegen zogen nach. Auch wurden die Künstler zur Vorhut des Fremdenverkehrs, in Artikeln und Prospekten als Attraktion erwähnt. Nicht zu vergessen engagierten sich viele für Landschafts- und Denkmalschutz und die Bewahrung des örtlichen Brauchtums. In kleinen »Arbeitsgruppen« lebten diese Naturromantiker in künstlerischer Gemeinschaft, malten vor der Natur, en plein air, und läuteten gleichsam die Moderne ein.
Wälder aus Glas
Rasch hatte die Eisenbahn überall in Europa die Distanzen verkürzt. Dachau zum Beispiel war ein idealer Künstlerort, mit seiner endlos weiten Moorlandschaft, deren feuchte Atmosphäre immer neue Lichtstimmungen schuf, – und seit 1867 nur eine kurze Bahnfahrt von der Kunststadt entfernt. Auch wenn es in Skandinavien an Schiffsverkehr nicht mangelt, war Önningeby nicht so rasch erreichbar. Die Ålandinseln liegen in der Ostsee, auf Höhe von Helsinki. Eine große querformatige Winterlandschaft zum Beispiel musste Acke erst verschiffen und dann mit der Bahn via Sankt Petersburg nach Paris spedieren – wo sie dann leider von der Jury des Salon nicht angenommen wurde. Acke verließ die Kolonie und kehrte nicht wieder.
Ein Bild barg eine Überraschung: Dass Anna Wengbergs Ansicht von Nykarleby das Künstlerpaar Acke–Topelius zeigt, war bekannt. Aber das gelbe Haus rechts gibt es noch, und es wird von vom deutschen Künstler Albert Braun bewohnt. Der ist in der Zeitgenossen-Ausstellung der Neuen Galerie vertreten: mit einer Fahnen-Installation zu einem die Natur zerstörenden Atomkraft-Projekt. Um Natur und den Blick auf Landschaft geht es nämlich auch in dieser anregenden Präsentation heutiger Perspektiven. Kuratorin Jutta Mannes hat 8 Positionen mit Finnlandbezug zusammengestellt. Den in Önningeby lebenden Kjell Ekström, dessen Aquarelle Schnee und Eis riechen lassen, ein Video von Marko Lampisuo, das Bäume zeigt und die Kürze der tageshellen Stunden im Jahresverlauf visualisiert, abstrahierte Landschaften in Serie von Tiina Lamminen, Talvikki Lehtinens filigrane Pflanzen-Geflechte in Bronze und die wahrlich »Sublime Tiefe« von Aki Koskinen, rein malerisch – »Den Wald sehen« – Natur zu konstruieren. Zwei Finninnen leben in München: Anna Kiiskinen fängt Landschaftsblicke in Überblendungen und Spiegelungen ein, Essi Utriainen schmilzt stimmungsvolle Waldansichten aus Glassplittern zusammen. ||
ÖNNINGEBY. EINE KÜNSTLERKOLONIE AUF DEN FINNISCHEN ÅLANDINSELN
Gemäldegalerie Dachau| Konrad-AdenauerStr. 3, 85221 Dachau | bis 11. März
Di–Fr 11–17 Uhr, Sa/So/Fei 13–17 Uhr
Der Katalog (116 S., zahlr. Abb.) kostet 19 Euro
FINNISCHE KÜNSTLER UND IHRE LANDSCHAFT
Neue Galerie Dachau| Konrad-Adenauer-Str. 20 | bis 25. Februar| Di–So/Fei 11–17 Uhr, Sa/So/Fei 13–17 Uhr (24./25./31. 12. und 10./13. 2. geschl.) || Kombi-Führungen: 26. 12. und 6. 1., 14–15.30 Uhr; 18. 1., 19–21 Uhr (Anmeldung erforderlich)
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