Caitlin van der Maas startet im HochX mit »Die goldene Lüge« ein Gedankenexperiment zur Realität des Erzählens.
Konkret zu sehen gibt es noch nichts im Mucca, wo Caitlin van der Maas erst seit eineinhalb Wochen probt. Hier wird die junge Theaterregisseurin alles zusammenführen: Ein selbst verfasstes Li bretto,vertont von ihrem Leib-und-MagenKomponisten Tom Smith, gesungen vom Countertenor Stefan Görgner und begleitet von einer Laute (Helmut Weigl). Es gibt einen ebenfalls selbst geschriebenen Theatertext, eine Geigerin, zwei Schauspieler, eine Tänzerin und Menschen, die spielen, was sie derzeit auchim realen Leben sind. Denn in »Die goldene Lüge« geht es um Wahrheiten und Fiktionen, wie sie die Medien und das Theater produzieren. Man darf die in den Niederlanden geborene Mittdreißigerin zumindest aus Münchner Perspektive als Expertin für klug-verschrobene Raum-Klang-Körper-Experimente bezeichnen.
Als Regisseurin vorgestellt hatte sie sich hier Anfang 2014 mit »Dr. Faustus Lichterloh« an den Kammerspielen, wo sie unter Johan Simons Regieassistentin war, bevor sie ihm für ein Jahr als Produk tionsleiterin zur Ruhrtriennale folgte. In ihrer freien Münchner Produktion »Face me« untersuchte die Schauspielerin Sandra Hüller den Boden eines aufgelassenen Schwimmbeckens und die Rückstände von Gewalt im Körper. Und wie in »Korridor«, wo man unter Musikern, Schauspielern und Patienten durch die klingenden Flure der Psychiatrie an der Nußbaumstraße wandelte, war dem Publikum viel sinnliche und gedankliche Orientierungsarbeit selbst aufgetragen.
Destruktive Einzeiler
Dort, in der Klinik, kam Caitlin van der Maas die Idee zu der Alzheimer-Skizze, die im vergangenen Jahr beim Giesinger Kulturpreis Zweiter wurde, auch »wenn wir ziemlich weit ab vom Thema lagen. Aber manchmal«, lacht van der Maas – »ist die Not, etwas machen zu müssen, einfach zu groß.« Das vorgegebene Thema war Trash, ihr Thema die musikalische und sprachliche Erkundung dessen, »was passiert, wenn die Wörter sich im Kopf anders anfühlen als das, was du sagst«. Eine longversion dieses »Porträts einer Stimme« wird 2018 Premiere feiern. Was aber ihre aktuelle Arbeit angeht, entzündete sich Caitlins »Not« an dem Wort »Lügenpresse« und etlichen Fragen. Darunter: »Warum können Populisten Einzeiler in die Welt hinausrufen, ohne dass ein Inhalt oder Kontext dazugegeben wird?« Oder: «An welchem Punkt fängt man an, eine Lüge zu glauben?«
Mit einem Recherchestipendium der Stadt München hat van der Maas einen Monat lang deutsche, niederländische und englischsprachige Zeitungen untersucht und unglaublich viel »über Kinder und Gewalt« gefunden. Der Knochenfund der seit 2001 vermissten Peggy Knobloch mit den vermeintlichen DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt fiel in diesen Monat sowie die Bluttaten von Ansbach, Würzburg, Reutlingen und München. Und es folgten weitere Fragen wie: »Was kann man wirklich ›wissen‹ über die Hintergründe dieser Taten?« Aber vor allem: »Wie kann man das Geschehen verarbeiten, wie öffentlich trauern?«
Reise durch Gedankenräume
Mehr als fünf Wochen vor der Premiere ist noch nicht ganz klar, welche Antworten »Die goldene Lüge« geben wird. Der gesuchte Trost aber wird sich als musikalischer Faden durch das Stück ziehen: Das mittelalterliche Stabatmater hat van der Maas umgedichtet zum »Leiden der Kinder, die es nicht schaffen, in der Gesellschaft zurechtzukommen«. Seinen religiösen Gehalt hat sie gelöscht, »weil man damit in Bereiche käme, wo ich nicht hinwill«. Darüber hinaus ist der Abend ein Gedankenspiel zur Kraft des Geschichtenerzählens, »weil sich damit Emotionen und Gedanken übertragen und wir einen Kontext kreieren können – und das ist glaube ich das, was wir jetzt am meisten brauchen.« Ihre Vorgängerarbeiten fanden in besonderen Locations statt, die van der Maas »Gedankenräume« nennt. Im HochX dagegen wird es nur eine Black Box geben und Geschichten von sehr konkreten Figuren – auch wenn Caitlin an Figuren eigentlich nicht glaubt: Der Inhaber einer Boutique wird angeschossen, ein Mädchen verschwindet, eine Affäre nimmt ihren Lauf. Andererseits, sagt sie, gelte »das Landschaftsprinzip«: »Dass verschiedene Dinge nebeneinander stehen und du entscheidest, was du siehst und wann.« Die archaisch-ikonografische Kraft von Tableaux vivants hat sie dabei inspiriert. Der Rest ist offen. ||
DIE GOLDENE LÜGE
HochX| Entenbachstr. 37 |1.–3. Dez.| 19.30 Uhr
Tickets: 089 90155102
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