Nach einer Residenz am New Yorker MoMA und einer Retrospektive im Londoner Barbican Centre inszeniert Trajal Harrell an den Kamerspielen »Juliet & Romeo«.

Trajal Harrell als Amme, gefolgt von Damian Rebgetz und allen Tänzern | © Orpheas Emirzas

John Cranko war nicht der erste und schon gar nicht der einzige, der Shakespeares Tragödie »Romeo und Julia« auf die Tanzbühne brachte. Aber seine Umsetzung ist nach wie vor die prominenteste und außergewöhnlichste. Sein 1962 entstandenes Ballett treibt in hinreißenden Bildern die Handlung voran. In fulminanten Fecht- und lebensvollen Marktszenen, in den Augenblicken der jugendlichen, von den verfeindeten Verwandten verfolgten Liebe schlägt Lebenslust unmittelbar in Verzweiflung um. Die letzten Bilder hingegen ziehen sich bei Cranko dramaturgisch hin: Julias Gang zu Pater Lorenzo, der ihr ein starkes Schlafmittel gibt, damit sie sich der Hochzeit mit Paris entziehen kann, ihr letzter Abend zu Hause, Romeos Verzweiflung, der sich an der Seite Julias umbringt, weil er glaubt, seine Frau sei tot, deren Aufwachen in der grausigen Totengruft, um sich letztlich auch zu töten. Die Amme, Komplizin,
Komödiantin, eine Liebende auch sie, taucht in der Abfolge der tragischen Ereignisse kaum mehr auf.

Bei Trajal Harrell ist, wen wundert es, alles ganz anders. Die Amme steht im Zentrum des Geschehens, und das beginnt und vollzieht sich an offenen Gräbern. Sein Tanzstück »Juliet & Romeo«, eine Uraufführung an den Münchner Kammerspielen, spielt am Rand des Jenseits. Liebe und Tod durchdringen sich, Schmerz durchtränkt beide. Der US-amerikanische Choreograf, der nach einer Residenz am MoMA zuletzt beim diesjährigen Dance-Festival ebenfalls in den Kammerspielen seine höchst stilisierte Exotismus-Recherche »Caen Amour« zeigte, tanzt selbst die Amme. Mal im schwarzen Kleid, mal in Hose und Shirt; mal beobachtet er von seiner Bank an der Seite das Geschehen, mal weht er selbstversunken und barmend um die Gräber. Harrell strukturiert den Abend, rahmt ihn, verabschiedet das Publikum beim Hinausgehen, als wäre man bei einer Totenfeier zu Gast gewesen. Seine Präsenz schwört die Anwesenheit seiner acht Darsteller herauf.

Drei Ensemblemitglieder – Thomas Hauser, Benjamin Radjaipour und Damian Rebgetz –, William Cooper und Max Krause von der Falkenbergschule sowie die Tänzer Cecil Loresand, Jeremy Nedd und Ondrej Vitlar treten auf als Romeo, Julia und Tybalt, als Trauernde, Liebende und Kämpfende. Sie wechseln die Umhänge, Röcke, Kleider und Hosen, sie wiegen sich im Laufsteggang auf hoher halber Spitze, springen in Chassés um die Gräber oder gehen langsam in einer Trauerparade. Wieder organisiert Harrell viele Auftritte im Stil des Voguing, jener subversiven Selbstpräsentation im Spiel mit der Identität. Hinzu kommen diesmal aber auch viele vom Butoh inspirierte Passagen. Gestalten der Trauer mit offenem Mund, weinend. Schmerzensmänner, die in Zeitlupe vorwärtsschleichen oder zu Boden gehen. Die prachtvolle Tücher schwingen oder sich verhüllen. Die Tänzer sprechen auch Shakespeares Verse.

Nie verläppert die Spannung. »Auch ich kenne die Liebe. (…) Und für uns geht es weiter«, sagt die Amme. Eine Tragödie der Sehnsucht und der Erinnerung wird auf Harrells Laufsteg zu einem Lebens-Experiment der Veränderung und Selbstbehauptung. Dazu eine Musikcollage von der Klasse einer Pina Bausch oder eines Raimund Hoghe: betörende und treibende Songs und Sounds, von Alessandro Scarlatti bis zu einem Beatles-Cover Daniel Zaitchiks und Jayce Claytons »Evil Nigger« und »Gay Guerrilla«. ||

TRAJAL HARRELL: »JULIET & ROMEO«
Kammer 2 | Falckenbergstr. 1 | 19. Nov.,18 Uhr, 20./21.Nov.,
20 Uhr | Info und Tickets

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