Der großartigen romantischen Komödie »The Big Sick« gelingt, womit Hollywood sich heute so schwertut: glaubhaft von der Liebe zu erzählen.
Eine romantische Komödie setzt gewisse Selbstverständlichkeiten des gegenseitigen Respekts zwischen den Geschlechtern voraus. In Zeiten pussygrabbender Präsidenten und der feministischen Gegenaufrüstung ist die Leichtfüßigkeit aber dahin. Geliebt wird schon noch, aber eher in schwerem Kostümgewand (»Tulpenfieber«) oder gleich im Folterkeller (»50 Shades of Grey«). »The Big Sick« ist da ein erfreulich unkomplizierter Lichtblick. Unkompliziert und trotzdem glaubhaft von der Liebe zu erzählen, das ist schließlich die große Kür. So zum Beispiel: Lernen sich ein Mann und eine Frau kennen. Kumail ist Comedian und hat Emily zum Lachen gebracht. Wie jeder tollen Frau ist ihr das wichtiger als sein Bankkonto oder sein Armumfang.
Aber sie datet gerade nicht, sagt sie, rollt aus seinem Bett und zieht sich an. Es war schön, trotzdem müsse sie jetzt los. Aber wir müssen doch noch mal Sex haben, protestiert er. So eine Art Mädchen sei sie nicht, antwortet sie. »Ich habe beim ersten Date nie zweimal Sex.« Natürlich bleibt es dann doch nicht beim ersten Date, obwohl sie gerade nicht datet und trotz seiner »Zwei-Tage-Regel«, die verbietet, jemanden an zwei Tagen hintereinander zu sehen. Wie sich die Liebe zwischen ihnen einstellt, das geschieht nicht mit Pauken und Fanfaren gegen irgendwelche Widerstände, und dann triumphiert sie doch, sondern sie kommt eher überraschend, weil keiner mit ihr gerechnet hatte. Aber dann ist sie einfach da, und eines Nachmittags liegen die beiden verknotet auf der Couch und lesen.
Ganz reibungslos läuft das Ganze dann natürlich doch nicht ab. Weil Kumails pakistanische Eltern eine Weiße als Schwiegertochter nicht akzeptieren würden und er es versäumt, sich trotzdem zu ihr zu bekennen, ist Emily so schnell wieder weg, wie sie gekommen ist. Doch dann wird sie, kurz nach der Trennung, ins Krankenhaus eingeliefert und dort in ein künstliches Koma versetzt. Eine mysteriöse Infektion rumort in ihr. Den größten Teil dieser Liebesgeschichte bekommt sie also gar nicht mit. Stattdessen schlägt Kumail sich mit ihren Eltern im Krankenhaus herum.
Die sind seit der Trennung zunächst gar nicht gut auf Kumail zu sprechen. Er hatte sich ja nicht mit Ruhm bekleckert. Aber dann sitzt er halt da, treuherzig wie ein Hund und überfordert wie ein Clown im Krankenhaus – als Stand-up-Comedian ist er davon nicht weit entfernt – und bekommt am Beispiel von Emilys Eltern mit, dass Menschen älter, aber nicht weiser werden, dass die Liebe genauso wunderschön, schrecklich und lustig in ihren alltäglichen Paradoxien bleibt. Man wisse erst, wie sehr man eine Person liebt, wenn man sie betrügt und sich dann richtig, richtig mies fühlt, sagt Emilys Vater, sehr zerknirscht. »Ich muss also jemanden betrügen, um ihn richtig lieben zu können?«, fasst Kumail perplex zusammen. Die Menschen machen Fehler in »The Big Sick«, aber sie dürfen es. Sie machen Fehler, und wenn sie nicht mehr weiterwissen, machen sie einen Scherz. Und wenn ihnen kein Scherz mehr einfällt, ist auch das nicht so schlimm. Man verliebt sich nicht zwangsläufig in den lustigsten Comedian. Sondern in den nettesten. ||
THE BIG SICK
USA 2017 | Regie: Michael Showalter | Mit: Kumail Nanjiani, Zoe Kazan, Holly Hunter | 120 Minuten | Kinostart: 16. November
Trailer
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