Christof Loy inszeniert den »Figaro« als erste Spielzeitpremiere der Staatsoper.
Alles Theater, einerseits. Viel Gegenwart, auf der anderen Seite. »So wie ich die Oper lese, formuliert sie einen Entwurf einer utopischen Gesellschaft, in der die sozialen Beziehungen ganz neu definiert werden, unabhängig davon, ob diese auch tatsächlich realisierbar sind«, meint Regisseur Christof Loy,
der die Staatsoper davon überzeugen konnte, sich eine neue »Nozze di Figaro« zu leisten, obwohl Dieter Dorns Inszenierung noch in lebhafter Erinnerung war. »Wie Mozart hier die Themen Liebe und Eros jenseits aller üblichen Konventionen reflektiert, wie sich bei ihm das Thema Liebe erweitert hin zu
etwas Universellem, das ist für mich in höchstem Maße politisch.« Und frech, wenn man bedenkt, was Mozart und Lorenzo da Ponte in der Oper bereits angelegt haben. Domestiken, die auf der gleichen Ebene ihrer Herrschaften agieren. Männer, die andauernd die Übersicht verlieren. Intrigen, die sich potenzieren. Ein Potentat, dem von seiner Frau verziehen wird, anstatt dass er selbst, wie ständisch üblich, Vergebung zelebriert. Und zwischendrin ein die Geschlechter wechselnder Cupido, der in pubertärem Vorgriff auf »Don Giovanni« die Finger von den Frauen nicht lassen kann.
Es ist ein unübersichtliches Wechselspiel der Beziehungen, das Loy mit beeindruckender Klarheit ordnet. So sind alle Charaktere auf Augenhöhe angelegt, die komischen Momente der Opera buffa werden aus den Figuren selbst entwickelt. Hier agieren Verwirrte und Verschmitzte, Naive und Berechnende zugleich als Individuen und Typisierungen.
Alles Theater, sagt das Theater, das mehrfach thematisiert wird, vom Marionettenspiel während der Ouvertüre bis zum zweiten Podium auf der Bühne. Alles real, sagen die Konflikte der Euphorie, Eifersucht, Enttäuschung, die in ihrer Emotionalität auch 231 Jahre nach der Uraufführung nichts von ihrer Menschlichkeit verloren haben. Alex Esposito ist als Figaro ebenso Narr wie Hoffender, dem die Anbetung so schnell von den Lippen geht wie die Ablehnung. Christian Gerhaher spielt den Grafen mit einer Mischung aus cäsarenhafter Hybris – wunderbar, wie er in seiner Rachearie auf einem Sessel stehend die große Pose mimt – und an der Komplexität der Beziehungen leidender Ratlosigkeit.
Olga Kulchynska verkörpert eine hinreißend wetterwendige, zwischen Berechnung und Hingabe changierende Susanna, Federica Lombardi eine Gräfin, mit deren Schmerz man angesichts des fortwährenden Betrugs schier mitleiden möchte. Solenn’ Lavanat-Linkes Cherubino wiederum agiert souverän mit der erotischen Ausstrahlung der Gender-Jonglagen, und Anne Sofie von Otter ist eine erst unbeholfen komische, dann majestätisch mütterliche Marcellina, der mit dem Liedeinschub der »Abendempfindung an Laura« (Mozart / Campe) ein über die Oper hinausreichendes VergänglichkeitsIntermezzo gestattet wird. Constantinos Carydis schließlich leitet das Orchester des Hauses straff, in den ruhigen Passagen luftig und klanglich transparent, die Bühne spielt à la Lewis Carroll mit der Symbolik einer ins Gigantische wachsenden Tür als Tor zum Ungewissen. Alles wirkt in der Mixtur stimmig, ein auf seine Struktur bezogener und daher sehr prägnanter »Figaro«. Sehenswert! ||
LE NOZZE DI FIGARO
Nationaltheater| 7./10. Nov.| 19 Uhr | Tickets: 089 21851903
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