Das zwölfte Underdox Festival gräbt Godard aus und reist durch die Landschaften von Heinz Emigholz.
Einfach alles kurz und klein hauen. Der junge Mann auf dem diesjährigen Underdox-Plakat macht genau das mit der Inneneinrichtung, was das Festival schon seit zwölf Jahren mit filmischen Konventionen macht. Gut, das trifft es nicht ganz, schließlich geht es hier nicht um bloße Destruktion, sondern um das Einreißen von Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilm, zwischen bildender und filmischer Kunst.Da ist es mehr als passend, das Festival mit Jean-Luc Godard zu beginnen, der Sehgewohnheiten seit Generationen über den Haufen wirft. Am 5. Oktober flimmert »The Rise and Fall of a Small Film Company« (1986) in einer restaurierten Fassung zum ersten Mal über eine deutsche Leinwand. Wer Godards spätere Phase kennt, weiß, dass einen hier kein »Außer Atem« erwartet, sondern ein selbstreferenzieller Essay, der nach dem Kinobesuch aber mindestens genauso lange nachhallt.
Mit Heinz Emigholz widmen sich die Veranstalter einem weiteren großen Namen des Kunstfilms. Bei den Vorführungen seiner Werke »2 + 2 = 22 (The Alphabet)« und »Streetscapes (Dialogue)« wird er auch selbst anwesend sein. Auch hier durchdringt seine Leidenschaft für Architektur alles, ein besonderer Fokus ist dieses Mal aber auf die Landschaften drum herum gerichtet. Der Kanadier Karl Lemieux hingegen beschäftigt sich in »Maudite Poutine« – von hier stammt auch die Szene für das Plakat – dem Brachland im Inneren des Menschen. In trister Atmosphäre treffen sich hier zufällig zwei Brüder wieder, die sich beide gerade im Kampf mit ihren inneren Dämonen befinden. Daneben findet sich mit Lav Diaz ein Underdox-Stammgast im Programm. Und wie zu erwarten, muss man für seinen »Ang Babaeng Humayo« ordentlich Zeit mitbringen. Der letztjährige Gewinner des Goldenen Löwen von Venedig ist mit seinen 228 Minuten im wahrsten Sinne abendfüllend.
Was wahrscheinlich auch für viele Underdox-Anhänger erst mal komisch klingt, ist das diesjährige Thema: »Landlust!«. Klingt irgendwie spießig und nach Lodenmode, wird bei genauerem Hinsehen allerdings wirklich interessant. Unter den drei Filmen zum Thema befindet sich zum Beispiel »Va, Toto!« von Pierre Creton, der hier seine internationale Premiere feiert. Einer der Hauptdarsteller ist ein Wildschwein, das in einem Haus in Bréauté-Beuzeville aufwächst.Das Underdox ist vielleicht nicht Münchens größtes Filmfestival, dafür aber das mit den meisten Überraschungen. Und das selbst für Anhänger des Essay-, Underground- oder Experimentalfilms, die schon so einiges an Ungewohntem gewohnt sind. ||
UNDERDOX
12. internationales Filmfestival – Dokument und Experiment
bis 11. Oktober| Programm und Ticket-Info
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