»Verrichterin« Ruth Geiersberger fungiert in »auf Räumen« als Membran zwischen Jugend und Alter.
Der immer gleiche Mandelkuchen mit Simon im Museumscafé oder die Rinderbrühe bei einer 97-Jährigen zu Hause: Ruth Geiersberger pflegt Rituale, liebt Menschen, die aus der Norm fallen, das Scheitern und altvertraute Gegenstände. Einiges davon wird sie Anfang Oktober mit ins HochX bringen, wo der zweite Teil ihrer Performance »auf Räumen« Premiere hat. Dinge aus der 25-jährigen »Verrichtungs«-Geschichte wie »die Sprechtuten« oder eine elektrische Eisenbahn – und ihre Protagonisten: Der ehemalige Staatsanwalt, Schlingensief-Akteur und Immer-noch-Autor Dietrich Kuhlbrodt und der Japanologiestudent und Spieleentwickler Simon Spehr werden leibhaftig dabei sein, die »Bridge Ladies« mindestens vermittelt. Auf der Tonspur, die der »akustische Beobachter« Klaus Janek aufgenommen hat, hört man eine von ihnen streng sagen: »Ihr unterhaltet euch, das geht nicht!«
In der ersten Phase von »auf Räumen« in einer leer stehenden (sic!) Münchner Wohnung waren die vier Damen im »Bienenraum« am »Bienentisch« derart in ihre Existenz als Spielerinnen versunken, als wären sie schon immer da gewesen. Die Vergangenheit spukt noch herum, die Zukunft bleibt aus: ein »Ort im Wartezustand«. Auch so etwas, wofür Geiersberger ein Faible hat. Was ist es bloß, was hinter dieser dunklen Holzvertäfelung stinkt?, fragt sich der Besucher. Und an den Wänden stehen andere Fragen: »Muss wirklich immer alles schnell gehen?« – »Was ist ›immer‹?« Fragen und Gegenfragen sind Eckpunkte von Geiersbergers neuer Arbeit. Und das Alter.
Frage-Frage oder Frage-Antwort?
Sie selbst, sagt die 60-Jährige, empfinde sich momentan »wie eine Art Membran« – hauptsächlich auf Empfang geschaltet zwischen der vor Fragelust überquellenden Jugend und dem sich aus der Erinnerung speisenden Alter: »Wie ein Steg zwischen zwei Orten: Dies nicht mehr und noch nicht das.« Deshalb ist »auf Räumen« auch ein Mehrgenerationenexperiment mit »Simon« (20+) und »Kuhlbrodt« (hellwache 80+), wie sie die beiden nennt. Ohne Nachnamen den einen und ohne Vornamen den anderen. Und mit ihr selbst und dem Musiker Klaus Janek (45+) nicht nur altersmäßig dazwischen. Ihre Funktion als »performative Moderatorin« wird sie in Phase zwei auf einem realen Bühnensteg erfüllen: mit Schaltpult – »wie bei »Raumschiff Orion«.
Was in Phase eins zu hören war, haben Geiersberger und Janek aufgenommen, gefiltert und neu zusammengeschnitten. Die vorbeifahrende Straßenbahn, das leise Klicken einer Neonröhre, die Geschichten, die einzelne Besucher zu hören bekamen und besagte Frage-Antwort- oder Frage-Frage-Sessions. Erstaunlich schnell ging es dabei ans Eingemachte. »Special Guest« Judith Hummel mag
ein Kind bekommen und dann doch lieber keines, Kuhlbrodt kann am besten Antworten in Gegenfragen verpacken. Und der Youngster wird mit seiner unbewegten Mimik für die anderen mehr und mehr zu einem Phänomen, das es zu knacken gilt. Das wirkt zuweilen hart. Aber, so Geiersberger: »Ich will niemanden ins Desaster stürzen mit sich. Dafür habe ich zu großen Respekt vor allen.«
Im HochX wird eine frei begehbare Installation auch den Respekt vor dem Ursprungsraum spiegeln. Die Wohnung in der Wörthstraße wird »nachbereitet«, einzelne Zimmer werden »behauptet«, sagt die Verrichterin. Und die in Phase eins generierte »Klangskulptur« soll beim Wiederabspielen allmählich verschwinden – bis es laut Geiersberger »zu einer Geräuschleerigkeit kommt«. »Die Performance löscht das gelebte Leben aus«, sagt sie – und bekennt sich damit zum Augenblick und zum Loslassen, das wir nicht erst in unserer letzten Lebensminute lernen sollten. Und weil der Geiersberger-Satz »Ich mache was, und dann ist es vorbei« derart quer zu unserer aktuellen (Selbst-)Dokumentationskultur steht, ist er fast eine Provokation. ||
AUF RÄUMEN – PHASE 2
HochX| Entenbachstr. 37 | 4.–7. Okt.| 20 Uhr
Tel. 089 90155102
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