Valeska Grisebachs »Western« ist ein nuancenreiches Formexperiment, in dem es einen deutschen Bauarbeitertrupp nach Bulgarien verschlägt.
Stolze elf Jahre musste man auf Valeska Grisebachs (»Sehnsucht« / »Mein Stern«) neuen Film warten. »Western« heißt er und spielt weder in der Sierra Nevada Spaniens noch in derberühmten US-amerikanischen Gebirgskette: Sondern in Bulgarien, das filmgeschichtlich nicht zwingend über eine große Westerntradition verfügt, genauso wenig wie Deutschland, wo sich zuletzt Thomas Arslan – ebenfalls ein renommierter Vertreter der international reüssierenden »Berliner Schule« wie Grisebach – an jenem Urgenre der Filmkunst versuchte und mit »Gold« im Berlinale-Wettbewerb 2013 desaströs scheiterte.
Gerade das kann man nun vom außerordentlichen Genreexperiment der gebürtigen Bremerin, das in Cannes in der traditionell hochklassigen Un-Certain-Regard-Nebenreihe Jubelstürme auslöste, keineswegs behaupten. Denn »Western« wurde von der globalen Kritikergarde geradezu frenetisch gelobt und heimste auch beim nicht minder wichtigen Fachpublikum extrem positive Reaktionen ein. Moment: Glanz und Gloria für einen deutschen Film – ausgerechnet an der Côte d’Azur? Da war doch etwas? Genau, im letzten Jahr verzückte Regisseurin Maren Ade mit »Toni Erdmann«, ebenfalls eine Komplizen-Film-Produktion wie »Western«, zusammen mit ihren Produzenten-Mitstreitern Jonas Dornbach und Janine Jackowski die weltweite Filmöffentlichkeit.
Woran das liegt? Sicherlich nicht am Plot, denn auch in »Western« passiert im Grunde reichlich wenig. Männer die auf Bauland starren, hätte Grisebachs beglückendes Formexperiment alternativ heißen können. In ihrem Film wird nämlich eine Handvoll deutscher Bauarbeiter nach einem kurzen Intermezzo in Deutschland ins ferne Bulgarien beordert: Dort soll in tiefster Provinz – und bei glühender Hitze – ein Wasserkraftwerk errichtet werden. Die hemdsärmeligen Teutonen mit reichlich ausbaufähigen Umgangsformen und absolut unzureichenden Fremdsprachenkenntnissen wissen im Kern nicht einmal genau wo. Obendrein fehlt das Wasser, die Unterkunft ist dürftig – und die Zeit wirkt seltsam aus den Fugen geraten. Zudem will dann auch noch dieser lange ersehnte Laster mit Kies einfach nicht im Tal auftauchen. Genau aus diesem Grund muss die laut polternde Männerhorde um Vincent (Reinhardt Wetrek), den ruppigen Polier, zwangsläufig auf die Einheimischen zugehen … Und gerade hier beginnt dieses merkwürdige »Duell in der Sonne« (King Vidor) – trotz oder gerade wegen allzu geringer Großkonflikte – besonders formidabel zu werden, was in hohem Maße an der großen Echtheit wie erdigen Ehrlichkeit der Bilder (Kamera: Bernhard Keller) sowie an der wunderbar ungezwungenen Montage Bettina Böhlers liegt.
Hierin entfaltet sich Grisebachs Meisterschaft, thematisch zugleich in der Ferne zu schweben und gängige Genrebausteine (wie zum Beispiel Miniduelle um Pferde oder Frauen) bestechend umzuformatieren und parallel sehr viel über Deutschland, das Deutschsein in der Fremde und historische wie gegenwärtige Deutschland-Images in der globalisierten Welt zu erzählen. Ergänzt durch ein grandioses Laiendarstellerensemble (mit einem herausragenden Meinhard Neumann an der Spitze) und selbstironischen Nuancen auf beiden Seiten, gehört »Western« schon jetzt zu den bleibenden Seherfahrungen des aktuellen Kinojahrgangs: auch – und erst recht – ohne gängige Revolverhelden. ||
WESTERN
Deutschland, Bulgarien, Österreich 2017 | Regie: Valeska Grisebach | Mit: Meinhard Neumann, Reinhardt Wetrek u.a.
120 Minuten | Kinostart: 24. August
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