Das Alvin Ailey American Dance Theater gastiert wieder mit einem aktuellen Programm und seinem Klassiker »Revelations« im Deutschen Theater.

Das Ensemble des Alvin Ailey American Dance Theater © Andrew Eccles

Es ist wie mit dem rosa Elefanten, an den man nicht denken darf: Wenn der amerikanische Tanzwissenschaftler Thomas F. DeFrantz in seiner Studie über Alvin Ailey schreibt, er vergleiche das Werk des berühmten Choreografen nicht mit dem von Martha Graham, George Balanchine oder Merce Cunningham, dann ruft er in uns genau diesen Vergleich auf. Graham, Balanchine, Cunningham, Ailey: Alle vier haben die US-amerikanische Kunst und unser Bild von ihr geprägt, alle vier stehen jeweils für eine ganz spezielle, innovative Art zu choreografieren und zu tanzen, alle vier waren Jahrhundertfiguren. Alle vier sind kulturelles Erbe. Ailey war mit Abstand der jüngste, geboren 1931. In Rogers, Texas. Und das macht den Unterschied. Deswegen kann man Aileys umfangreiches Werk, in dem Ballett, Jazz, verschiedene Techniken des Modern Dance, Showtanz, brasilianische und afrikanische Bewegungen und afroamerikanische Tanzformen aufgehen, nicht mit den expressiven Stücken Grahams, den neoklassischen Balletten Balanchines und den kühnen Experimenten Cunninghams vergleichen. Rogers, Texas, das war Süden, Segregation, Depression.

Ailey, der afroamerikanische Mann aus der Arbeiterklasse, wuchs in einer rassistischen Gesellschaft auf, die gezeichnet war von Rassentrennung und Wirtschaftskrise. Der bei Lester Horton – der als Erster nicht weiße Tänzer in seine Kompanie aufnahm – ausgebildete Ailey war weit entfernt vom kulturellen Hintergrund seiner Kollegen aus der weißen, gebildeten Mittelschicht. Seine Choreografien, getanzt von einem überwiegend nicht weißen Ensemble, sprechen zu einem großen, globalen Publikum, aber sie sprechen mit deutlich afroamerikanischer Gesinnung, so DeFrantz.

Vom Rand der Gesellschaft zur Amtseinführung von Clinton

Vor allem ein Werk, das 1960 entstandene Stück »Revelations«, verkörpert das afroamerikanische Erbe. Ailey entwarf es in Erinnerung an seine Kindheit, an Gottesdienste in der Mount Olive Baptist Church, an Taufen und Feiern, an Bedrängnis und Schmerz. Begleitet von traditionellen Spirituals, entwickelt sich die Reihe von Soli, Duetten und Gruppenstücken von einem düsteren, abstrakten Beginn zu einem fröhlichen Miteinander am Ende. »Revelations« wurde zu einem bejubelten Signaturstück, aufgeführt bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 1968 und den Amtseinführungen von Jimmy Carter und Bill Clinton. Wo das Alvin Ailey American Dance Theater auch hinreist, bis heute befindet sich »Revelations« im Gepäck – in diesem Sommer kann man das Werk wieder im Deutschen Theater erleben.

Getanzt von einer Gruppe aufregender Tänzerinnen und Tänzer, von denen viele die verschiedenen Programme des Alvin Ailey American Dance Theater durchlaufen haben. Sie entdeckten bei einem »Aileycamp« für Jugendliche, wie viel Spaß Tanzen macht, denn das Joann Weill Dance Center mit zwölf Studios und einem Theater an der 55. Straße in Manhattan und The Ailey School in Brooklyn sind auch eine soziale Einrichtung. Sie waren Mitglied des Nachwuchsensembles Ailey II oder absolvierten das Ailey/Fordham Program in Dance, das einen dualen Abschluss an der Ailey School und in einem geisteswissenschaftlichen Fach an der Fordham University ermöglicht.

Hip-Hip, Gospel, House und Tanz

Beim letzten Besuch des Alvin Ailey American Dance Theater hatte gerade Robert Battle die Leitung der Kompanie übernommen, der seit dem Tod Aileys 1989 die Tänzerin und Choreografin Judith Jamison vorstand. Wie es ästhetisch weitergehen würde, erschien damals noch in der Probephase. Drei Jahre später ist klar: Was die Kompanie in Deutschland zeigt, das baut auf bewährte Choreografen mit neuen Stücken. RonaldK. Brown und Rennie Harris waren bereits beim letzten Münchner Gastspiel dabei. Der aus Brooklyn stammende, seit den 1980er Jahren choreografierende Brown bringt »Four Corners« (2013) mit, der Hip-Hopper Rennie Harris zeigt »Exodus« (2015) zu Gospel und House Music. Zusammen mit Aileys »Revelations« ergäbe das eine klassische Triple Bill, einen Dreierabend, wenn nicht Battle mit »Takademe« (1999) noch ein eigenes Gustostückchen hinzugefügt hätte: die fünfminütige Dekonstruktion des indischen Kathak, die er zu Beginn seiner Karriere im engen Wohnzimmer in Queens begonnen und dann im großen Studio des Alvin Ailey American Dance Theater erweitert hatte. Da war für ihn auf einmal ganz viel Platz. Platz, den sich Ailey ohne einen Gönner schaffen musste. Ohne eine Rothschild wie Graham, ohne einen Kirstein wie Balanchine. DeFrantz schreibt dazu: »Ich wünsche, er hätte verstanden und es genossen, wie sehr seine Energie und seine Visionen so viele Leben im Hinblick auf den Tanz verändert haben.« ||

ALVIN AILEY AMERICAN DANCE THEATER
Deutsches Theater| Schwanthalerstr. 13
22.–27. August| Di bis Fr 20 Uhr, Sa 14.30 und 20 Uhr, So 17 Uhr

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