Gunnar Petersen betreibt in »Julius Cäsar« ernste Gewissenserkundung.
Rundum stehen sie beleuchtet hinter den großen Fenstern des Klenze-Baus: Die steinernen »Charakterköpfe«, deren Vorbilder einst auf den Schultern Homers, Alexanders des Großen oder Ciceros ruhten. Und wenn man im lauschigen Innenhof der Glyptothek bei Wein und Brot zusammensitzt, schaut einem der römische Kaiser Hadrian persönlich über die Schulter. Gunnar Petersens engagierte Crew ist seit 27 Jahren in guter Gesellschaft, wenn sie mit ihren »Theaterspielen« die allsommerliche Kulturdurststrecke überbrückt. Passend zur Umgebung mit antiken oder elisabethanischen Klassikern – und wenn der Sommerhimmel mitspielt, ist der Abend schon gerettet. Auch wenn, wie diesen Sommer, Julius Cäsar sein berühmtes »Auch du, Brutus!« hervorjault und in Zeitlupe herniedersinkt, die Selbstzerfleischung der »letzten Römer« damit aber noch lange nicht zu Ende ist.
Mal wieder wird Shakespeare gegeben. Und Petersen selbst spielt den titelgebenden Tyrannen als alten Mann mit einer der Angst vor dem Kontrollverlust geschuldeten Herrischkeit, großen rollenden Augen und der Gemütsverfassung eines Kindes, dessen Bedürfnisse keinen Aufschub dulden. Dass die überkommene und sich mit Julius Cäsar zum Neuerstarken anschickende Staatsform, die die Freunde der Republik »wie ein Schlangenei« noch »in der Schale« zu meucheln beschließen, im Körper eines Greises daherkommt, lässt Assoziationen zu anderen alten Männern der Gegenwart zu, die mit der Aura eines Vulkans mittels Dekreten regieren und ihre Twitter-Reflexe nicht unter Kontrolle haben. Doch Prinzipal Petersen, dessen eigenwillig zerhackte und gedehnte Silben an die Minettis und andere bereits verblichene Sprechakrobaten erinnern, ist kein Freund revolutionärer Neudeutungen. Was in der eher strengen Regie von Paul Stebbings und mit der gefühlvollen musikalischen Begleitung von Helen Beauchamp auf das schlichte Bühnenpodest kommt, ist »Julius Cäsar« pur, was bedeutet: keine Spaß- und Action-Einlagen, dafür viel ernste Gewissenserkundung und rhetorische Kabinettstückchen.
Brutus’ kurze Rechtfertigungsrede nach dem Mord an dem von ihm geliebten Cäsar und Marcus Antonius’ raffinierte Gegenrede ( »Brutus ist ein ehrenwerter Mann«) haben in Sven Schöcker und Tobias Ulrich glasklare Interpreten gefunden. Überhaupt hört man den meisten der nur acht Akteure gerne zu. Und so lange die Ratio regiert, bleibt das Pathos gezügelt. Nur die Emotionen klingen hie und da ein wenig hohl. Und bis auf die mal »Cäsar! Cäsar!«, mal »Tyrann!« und dann wieder »Rache!« schreiende Manipulationsmasse Volk, die mit Kapuzen über dem Kopf oder erhobenen Täfelchen mit gemalten Gesichtern darauf den ganzen Hof durchquert, findet vieles an der Rampe und mit Blick zum Publikum statt. So ergibt das Ganze einen konzentrierten Zuhörabend in geschmackvollen Farben (Kostüme: Juliane Kasprzik) zum stets aktuellen Thema Macht und Moral. Das große Theaterspektakel aber bleibt aus. Da muss dann das lauschig-imposante Ambiente wieder einspringen. Das hat damit aber kein Problem! ||
JULIUS CÄSAR
Innenhof der Glyptothek| bis 16. Sept.
tägl. 20 Uhr | Tickets und Regentelefon: 089 3003013 oder 0171 3006259
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