Wir machen die Erde kaputt, überall – mit gigantischer Urbanisierung und ungebremster Ausbeutung und Zerstörung der Natur. Eine Ausstellung zeigt, wie Architekten und Forschungsteams konkret helfen können.
Landschaft ist etwas, das zu genießen wir gelernt haben. Was Landschaft bedeutete und heute bedeutet, kann man sich aktuell in zwei Pinakotheken vor Augen führen. Malerische Weg durchs grüne Gelände, geduckte Gehöfte und pittoreske Burgen, sanfte Hügel und schroffe Felsen in schönstem Licht unter einem bewegten Himmel – so sehen die Bilder von Johann Christian Ziegler aus. Architekturelemente, und damit Stadtansichten, zählen auch dazu. Unter dem Titel »Bellinzona und mehr« präsentiert die Neue Pinakothek (bis 8. August) Gemälde und Skizzen Zieglers, der zu den frühen realistischen Landschaftsmalern Deutschlands zählte. In der Malerei musste sich die Landschaft erst aus dem Hintergrund des Bildnisses zum alleinigen Gegenstand emanzipieren. Der abendländische Kerngedanke dabei ist, dass dieses »Draußen« mehr und mehr als Handlungs- und Erlebnisraum begriffen wurde. Wenn bei den freiheitlichen und freizeitlichen Gemälden der Impressonisten nicht nur Damen mit Sonnenschirmen durch blühende Felder spazieren, sondern auch Eisenbahnen dampfen und Fabrikschlote rauchen, stört das nicht unseren ästhetischen Genuss.
Solche Bilderbuchlandschaft hat die fortschreitende Industrialisierung und Ausbeutung des Planeten mit der Zeit vielfach getötet, speziell rund um die ausufernden Städte. Bei Megacities wie der Metropolregion von Mexiko-Stadt mit 20 Millionen Einwohnern bekommt auch die Metapher der Stadtlandschaft eine neue Bedeutung. Und das Gewerbe des Landschaftsarchitekten ein dringliches Betätigungsfeld.Der Landschaftsarchitektur im heutigen, weitesten Sinne widmet sich die Ausstellung »draußen / out there« des Architekturmuseums der TU München in der Pinakothek der Moderne. Eine notwendige Absage an das traditionelle Bild vom Landschaftsarchitekten als Gartenkünstler und Begrüner des Städtebetons – die Probleme stellen sich, so der Untertitel, »auf globalem Terrain«. Umso dringlicher auch ist die Entwicklung von Lösungsansätzen gefragt. »In Ländern, wo die Städte so schnell wie niemals zuvor wachsen, zeigt sich eine Urbanität, die nicht selten ausladend, brutal, schmutzig, gnadenlos und ungeniert umweltfeindlich ist. Dieser zeitgenössischen Ausprägung globaler Urbanisierung ist mit bürgerlichem Repräsentations- und demokratischem Versorgungsgrün westlicher Machart und dem ihm innewohnenden Paradiesversprechen nicht beizukommen.« So Undine Giseke, Regine Keller, Jörg Rekittke, Antje Stokman, Christian Werthmann im Katalog. Sie sind Projektpartner der mit Andreas Lepik vom Architekturmuseum gemeinsam gestalteten Präsentation. Zehn Forschungsprojekte in unterschiedlichen Gebieten der Erde werden vorgestellt.
Was wollen wir dazu leisten?
Wo am Stadtrand von Casablanca die billigen Bauten des Urbanen abgelöst werden von agrarisch genutzten Flächen, man also wie in Europa aus dem Dorf heraus, von der Stadt ins rurale Land gelangt, wuchern in Canaan in Haiti auf enteignetem Terrain Wellblechhütten und Häuschen ungeplant durcheinander, fast bis zum Horizont, so scheint es auf einem Foto. Die Stadt selbst, so erfährt man in dieser eindringlichen Ausstellung, ist eine einzige Baustelle, nachdem das Erdbeben 2010, sehr viele Menschen getötet und unzählige obdachlos gemacht hat. In Lima, einer Stadt in der Wüste, mutet das ungebremste Wachstum informeller Siedlungen am Fuß der Anden aus der Vogelperspektive einer Luftaufnahme wie ein locker geordneter Müllberg an. Den Ciliwung River in Jakarta säumen – beinahe pittoresk – verrottete Müllhaufen. Das Baden im Fluss ist wohl nicht anzuraten. Auch diese Megacity überschreitet bald die 30-Millionen-Marke. Wobei der Boden in dieser Deltaebene absackt – durch unkontrollierte Grundwasserentnahme – und die Flutgefahren – auch durch Starkregen – dramatisch zunehmen.
60 Prozent des Stadtgebiets waren 2007 betroffen, teils stieg das Wasser bis hoch in den dritten Stock. An der Cañada Real Galiana, einem Triftweg der Merinoschafzüchter an der Peripherie von Madrid, hat sich der größte Slum Europas angesiedelt. Es sind solch konkrete Fallbeispiele aus der aktuellen Forschung, die Einsicht geben in die lokalen Bedingungen, die Abhängigkeiten zwischen Stadt und Umland, zwischen Bewohnern und sozialer Organisation. Die Interdependenzen vieler Faktoren werden dabei deutlich. Die schön geschwungenen Reisterrassen auf Bali mit ihrem kunstvollen Bewässerungssystem beispielsweise erfordern Knochenarbeit, wie sie sogar unsere europäischen Bergbauern kaum leisten könnten. Die wie immer schön gebauten Modelle, Filme und beigegebenen Kontexte schärfen und vertiefenden Blick. Und die Reflexion setzt sich sofort in Bewegung, weil die schaurig-schönen, großartigen und großformatigen Fotos mit kommentierenden Stichpunkten und Informationen überschrieben sind.
Was Landschaftsarchitektur als Forschungsdisziplin und als Gestaltungswerkzeug zum Weiterleben der Menschheit beitragen kann, ist noch offen. Und hängt von der Finanzierung ab, die sich die heutigen Gesellschaften dafür leisten wollen. Eigentlich – und deshalb müsste man diese Schau mehrfach besuchen und Familie und Freunde dazu einladen – wäre das der neue Traumberuf. Jedenfalls ein Beruf mit Zukunft. ||
DRAUSSEN / OUT THERE. LANDSCHAFTSARCHITEKTUR AUF GLOBALEM TERRAIN
Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne| Barer Str. 29 | bis 20. August| Di–So 10–18, Do 10–20 Uhr || 13./20. Juli, 18.30 Uhr: Kuratorenführung || Der Katalog (HatjeCantz, 160 Seiten, 180 Abb.) kostet 32 Euro
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