Das Positionspapier des Netzwerks Freie Szene München bringt einen neuen, frechen Ton in die Debatte um die Eckpunkte unabhängigen künstlerischen Arbeitens.
Der Kulturreferent wirkt fast ein wenig traurig. Das im Januar gegründete Netzwerk Freie Szene München hat ein Positionspapier veröffentlicht, das es in sich hat: Neben dem Vorhersehbaren – mehr Geld, Proben- und Aufführungsräume – fordert es Bürokratieabbau, Transparenz und mehr »Selbstbestimmung« für die Münchner Tanz-, Theater- und Performanceszene (Link). Und dabei ist doch gerade erst die »Infrastrukturmaßnahme« HochX renoviert und neu bestallt worden, und es winkt ein künftiges und immer künftigeres Performing Arts Center wie die fette und unerreichbare Wurst vor der Nase eines Hundes.
Einige haben ihre Energien auf der Jagd nach der Wurst schon ausgehechelt. Im Vorstand des Netzwerks sitzen die anderen. Holger Dreissig, Gesche Piening, Theresa Seraphin – und mit Ute Groebel und Benno Heisel auch zwei aus dem Leitungsteam des HochX, die Kulturreferent Hans-Georg Küppers »eigentlich unsere Leute« nennt. Im persönlichenGespräch beschreiben aber auch sie den rechnerischen Irrwitz des Antragstellens unterBeachtung von Förder ober- und Honoraruntergrenzen, wie im Vorfeld der alljährlichen Juryentscheide »riesige Phantomspielpläne« entstehen und bei nur zehn Prozent bewilligten Projekten freies künstlerisches Arbeiten zu »einer Form des Glücksspiels« wird.
Wenn eigens von der Stadt eingerichtete Spielstätten keine Möglichkeit sehen, ihre Arbeit zu machen, dann läuft es nicht nur nicht im Sinne der Kunst, dann werden auch Ressourcen verschwendet. Schaut man sich den Output an, so vermisst man heute viele prägnante Handschriften und eigenwillige Arbeiten. Nachwuchsförderung schön und gut. Aber wo sind die anderen hin? Kaum einer ist schließlich so konsequent wie Alexeij Sagerer, der 2016 nach vierzig Jahren Förderung durch die Stadt einen Antrag auf null Euro Subvention gestellt hat, weil er konstatiert: »Die Behörde Kulturreferat hat ihre Offenheit verloren« gegenüber der Kunst jenseits von Institutionen – und die Freude »an der nicht berechenbaren Bewegung eines Künstlers«. So schlecht ein Einzelkämpfer wie Sagerer zu jeglicher Form des Netzwerkens passt, im Kern geht es hier genau darum: Die Belange der Kunst wieder in den Mittelpunktzu stellen. Gespräche mit allen Stadtratsfraktionen sind erst der Anfang. Denn welchem Politiker ist schon klar, wie schwer es für einen ist, der ohne Geldgeber und namhaftes Ausbildungsinstitut im Rücken eine gute Idee zur Reife kommen lassen will?
Dass die Kunst oft gerade von Quereinsteigern profitiert, darauf weist Holger Dreissig hin. Der Vernetzungsgedanke aber, sagt er, existiere behördlicherseits »nur auf der Zirkulations- und nicht auf der Produktionsebene«. Geld fließe, »der Austausch von Inhalten und Arbeitsweisen ist trockengelegt«, sagt Gröbel. »Vernetzung« scheint gerade von der Chance zum Imperativ zu werden. Wer nicht schon vernetzt ist – sprich: mehrere Geld geber im Rücken hat – wird nicht wahr genommen. Und wie schnell »Kooperationspartner« zu heimlichen Kuratoren werden, stellte die SZ gerade anlässlich des Berliner Theatertreffens fest, wo das Innenministerium indirekt hinter den »politischen« Themen des Stückemarkts steckte. In München und Nürnberg gibt es zudem die einzigartige Situation, dass städtisch geförderte Künstler keine Landesmittel beantragen und die städtischen Mittel das nicht auffangen können. Das Netzwerk fordert deshalb nicht nur die Abschaffung dieses Missstands, sondern auch generell: »Zahlen auf den Tisch, damit wir wissen, worüber wir reden.« Und eine »strikte Trennung von Projekt- und Kooperationsförderung«, damit Gelder für die freie Szene »nicht in bereits finanziell sehr gut ausgestattete Institutionen fließen«.
Das zielt vor allem auf die Münchner Kammerspiele, die sich unter Matthias Lilienthal als weitere Freie-Szene-Spielstätte gerieren. Im Netzwerk, selbst im Vorstand, sind die Haltungen dazu unterschiedlich: Von einer »Zweiklassengesellschaft« und »politisch gewollter Leuchtturmproduktion« ist die Rede,während andere nur verlangen, dass freie Produktionen dort »nicht eingequetscht werden in fremde Strukturen«. »Ich brauche so ’nen abgerockten Papa nicht!«, wird Dreissig flapsig, während Groebel konstatiert: »Lilienthal ist geholt worden, um die freie Szene zu stärken. Wir machen aber selbst Vorschläge, wie wir gestärkt werden wollen.«
59 Mitglieder hat das Netzwerk bislang, darunter sieben Häuser wie Metropol oder TamS und viele Kollektive. Sie wollen mitreden, ihre Kompetenzen einbringen und Verantwortung übernehmen. Um gemeinsam das, was strukturell »der Logik der Verwaltung folgt und sich wie ein Kuratieren von öffentlicher Hand anfühlt, in eine lebendige Theaterlandschaft überzuführen«. Der Ton, den sie dabei anschlagen, wäre für jeden Einzelnen von ihnen Selbstmord. So fordern sie etwa »faire, transparent arbeitende und vom Kulturreferat unabhängige Jurys«, wo der Wechsel in der Jurybestellung vor einigen Jahren doch auch auf Betreiben der Szene geschah, wenn auch nicht ganz in ihrem Sinne. Eine Art ständige Vertretung der Freien im Kulturausschuss könnte bei solchen Problemen künftig als fester Ansprechpartner dienen.
Was Kulturreferent Küppers skeptisch sieht, bevor er seinen mündlichen Ausführungen ein offizielles Statement nachschickt: »Wir sind Partner der freien Szene und seit vielen Jahren im Dialog über geeignete Förderinstrumente. Unser aktuelles Fördermodell ist ein Ergebnis dieses Austauschs. Außerdem haben wir in Spielstätten investiert und die Projektmittel erhöht. Jetzt haben die verschiedenen Akteure der freien Szene sich zusammengetan und erstmals ein gemeinsames Positionspapier erarbeitet. Auch hierüber werden wir in bewährter Weise miteinander diskutieren.« Dabei wird man hoffentlich schnell auf die Grenze dieser »Partnerschaft« zu sprechen kommen und darauf, dass »intransparent« immer das ist, was der andere nicht durchschaut. ||
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