Es gibt nicht viele deutsche Regisseure, die in ihren Werken eine derart klare gesellschaftspolitische Linie verfolgt haben wie Reinhard Hauff. Jetzt wird der Autor, Regisseur und Filmhochschuldirektor auf dem Filmfest München im Rahmen einer Werkschau geehrt.
Wenn man von den Ikonen des Neuen Deutschen Films der 1960er und 1970er Jahre spricht, dann kommen einem meistvier Namen in den Sinn: Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff, Werner Herzog und Wim Wenders. Fraglos hat dieses Kleeblatt Großes für die Revolution des hiesigen Kinos der Nachkriegszeit geleistet. Doch es gibt noch mindestens ein halbes Dutzend weiterer Kreativer, die in dieser Aufzählung nicht fehlen dürften. Einer von ihnen ist Reinhard Hauff, der später mit Schlöndorff mit der Bioskop eine eigene Produktionsfirma zur Erlangung größtmöglicher politischer und künstlerischer Freiheit gründen sollte.
Der Sohn eines Regierungsdirektors, am 23. Mai 1939 in Marburg geboren, entschied sich früh für das Filmemachen, sagte dem geisteswissenschaftlichen Studium schon bald Lebwohl und wurde Regieassistent beim Fernsehen. Es folgten drei bemerkenswerte Karrieren. Die erste als TV-Regisseur von Unterhaltungsformaten und Dokumentationen, die zweite als Kinospielfilmemacher und die dritte als Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Ohne seine Verdienste für innovatives Fernsehen undden cineastischen Nachwuchs schmälern zu wollen, ist es dochdie Leinwandlaufbahn (1969 bis 1989), die uns an dieser Stelle besonders interessiert. Schon sein erster Spielfilm sollte die
Marschrichtung vorgeben: Realitätsnah und direkt, schnörkellosundkritisch-politisch – »Die Revolte« , 1969 entstanden, erzählt von einem Versicherungsangestellten, der sich den rebellischen Studenten anschließt und auf die schiefe Bahn gerät. Später folgt »Messer im Kopf« (1978), sein vielleicht bester Film, in dem Bruno Ganz für einen Terroristen gehalten, bei einer Razzia durch einen Kopfschuss schwer verletzt wird und als Mann ohne Gedächtnis sein Leben neu beginnen muss.
Vier Jahre später dann »Der Mann auf der Mauer« mit einem blutjungen Marius Müller-Westernhagen als unangepasstem (Ost-) Berliner Wanderer zwischen den Welten, der sich vom Westen freipressen lässt, um dann doch wieder in den Fängen der Stasi zu landen. Hauffs bekanntestes und kommerziell wohl erfolgreichstes Werk aber ist »Stammheim«, ein waschechtes, aberauch polarisierendes Gerichtssaaldrama, in dem sich der Regisseur und sein Drehbuchautor Stefan Aust mit dem Prozess gegen die RAF-Terroristen um Baader und Meinhof auseinandersetzen. Ein nicht unumstrittenes Werk, das 1986 auf der Berlinale wegen der ablehnenden Haltung der damaligen Jurypräsidentin Gina Lollobrigida hohe Wellen schlug.
Konfrontation, Kompromisslosigkeit, Unbeugsamkeit – auch dafür steht Reinhard Hauff. Und für Experimentierfreudigkeit. So arbeitete er vor der Kamera nicht nur mit gestandenen (Volks-) Schauspielern (Ruth Drexel, Gustl Bayrhammer) und Regiekollegen (Schlöndorff, Fassbinder) zusammen, sondern auch mit Laiendarstellern (»Paule Pauländer«). Ein Großteil des Œuvres, darunter auch seine Doku über Janis Joplin (1969), der Heimatfilm »Mathias Kneissl« (1971) und das Musical »Linie 1« (1987), wird nun endlich im Rahmen einer Hommage auf dem Filmfest München gezeigt. Wobei »endlich« wohl nicht das passende Wort ist. Schließlich hat ja Eberhard Hauff das Festival bis 2003 als Direktor geleitet. Und der konnte ja schlecht seinen »kleinen« Bruder mit einer Retrospektive auf dem eigenen Filmfest ehren … ||
FILMFEST MÜNCHEN
22. Juni bis 1. Juli | Termine, Spielzeiten und sonstige Informationen zum Festival
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