Hamid Sulaimans erschütternder Graphic Novel »Freedom Hospital« über die Grausamkeit des Krieges und ein geheimes syrisches Krankenhaus.
Das Blut ist schwarz. Mit seiner eigenwilligen, düsteren Bildsprache erzählt der syrische Maler und Illustrator Hamid Sulaiman vom Krieg in seiner Heimat. Die Welt in seiner Graphic Novel ist ausschließlich schwarzweiß, die Kontraste sind stark, Grautöne existieren nicht. Diese visuelle Comic-Radikalität untermauert den grausam-realen Inhalt. Denn Sulaiman zeigt ungeschönt, wie Bomben explodieren, wie Hassprediger hetzen, wie Kugeln Körper zerfetzen, wie Menschen verzweifeln, wie Blut spritzt. Wie brutal Krieg ist und aussieht.
Das wäre kaum zu ertragen, gäbe es nicht einen hoffnungsvollen Aufhänger für die Geschichte, die 2012 in Houria im Norden Syriens spielt: das »Freedom Hospital«. Ein geheimes Krankenhaus zur Versorgung verwundeter Rebellen, geleitet von der 28-jährigen Pharmaziestudentin Jasmin. In ihrem hochmotivierten Team arbeiten Menschen verschiedenster Glaubensrichtungen. Dr. Fawaz Al-Fawaz, ein Alawit, hilft rund um die Uhr aufständischen Verwundeten. Zahabiah, die Köchin, ist vor ihrer konservativ-sunnitischen Familie geflohen. Der Arzt Dr. Yazan steht den Muslimbrüdern nahe, und der praktizierende Christ Dschamal demonstriert weiter gegen Assad, obwohl er von der Geheimpolizei gefoltert wurde. Zur Truppe stößt die französische Journalistin Sophie, die einen Dokumentarfilm drehen will. Sie folgt Jasmin mit der Kamera durch die Klinik und den Krieg.
»Ich habe dieses Buch geschrieben, um die Situation aus meiner Sicht darzustellen, nicht um sie zu erklären.«
Konflikte innerhalb des jungen Teams bleiben nicht aus. Und das »Freedom Hospital« wird immer wieder beschossen, belagert, bombardiert. »Wir werden weitermachen, selbst wenn sie das Krankenhaus hundertmal zerstören«, ruft Jasmin trotzig. Sie und ihre Mitarbeiter werden getragen von Wut, Gerechtigkeitssinn und Hoffnung. In einem halben Jahr, davon sind die engagierten Pazifisten überzeugt, werden die Rebellen Assad und sein Regime besiegt haben. Ein bitterer Trugschluss, wie die Realität beweist.
Es ist seine eigene Generation, die Hamid Sulaiman mit seinen Protagonisten porträtiert. Der 30-Jährige floh 2011 aus Syrien und lebt seitdem in Paris. Seine Arbeiten wurden bereits international ausgestellt und mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet – »Freedom Hospital« ist seine erste in Europa veröffentlichte Graphic Novel. Darin dokumentiert Sulaiman in rohen, eindrucksvollen Sequenzen Bombardements, Propaganda und Zerstörung. Er malt bizarre Luftaufnahmen, verfremdet Youtube-Videos und echte Nachrichtenbilder, informiert in skurrilen Sprechblasen über Waffentypen und ihre Herkunft. Sein Anliegen: eine ernsthafte, bisweilen auch schockierende Aufarbeitung des Krieges, das sieht man nahezu jedem seiner Bilder an.
Im Nachwort erklärt der syrische Illustrator: »Ich habe dieses Buch geschrieben, um die Situation aus meiner Sicht darzustellen, nicht um sie zu erklären.« Und, noch deutlicher: »Ich musste einfach all das hinausschreien, was mir seit Beginn der Revolution im Hals stecken geblieben war.« Das ist ihm mit seiner kunstvollen Bildsprache hervorragend gelungen. Sulaimans erschütternde Graphic Novel spiegelt die zerrissene syrische Gesellschaft und die Verzweiflung inmitten des Bürgerkrieges. Daneben zeigt sie allerdings auch die Aufbruchsstimmung rund um das »Freedom Hospital«, köstliche Joints, makabere Witze, Sex im Dunkeln. Das Leben in seinen Gegensätzen. Den Krieg in seinem Wahnsinn. ||
HAMID SULAIMAN: FREEDOM HOSPITAL
übersetzt von Kai Pfeiffer | Hanser Berlin, 2017
288 Seiten | 24 Euro
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