Der »Europäische Kulturmanager des Jahres 2016« ist angestellt beim Münchner Autobauer BMW: ein Porträt von Thomas Girst.
Alexander Calder war der Erste. Er bemalte 1975 einen BMW 3.0 CSL für den Rennfahrer Hervé Poulain. Roy Lichtenstein hatte die Nr. 3 der »BMW Art Cars« unter dem Pinsel, die beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans als Klassensieger durchs Ziel ging. Und Robert Rauschenberg erfüllte sich 1986 damit seinen Traum vom mobilen Museum. Doch Thomas Girst, der heute bei BMW der Kunst Beine macht, hielt die »Art Cars« zu seiner New Yorker Zeit für »eine sehr unschöne Weise, sich als Unternehmen in die Kultur einzubringen: Unternehmen wirft Geld auf Künstler, Künstler wirft Farbe auf Auto, Auto wird vom Design- zum Kunstobjekt.« Doch die Idee dafür, weiß Girst inzwischen, »entstammte gar keiner PR-Abteilung, sondern der Leidenschaft eines Rennwagenfahrers für schnelle Autos und moderne Kunst.« Und zusammengebracht werden beide »von den wichtigsten Museumsdirektoren weltweit«.
Und doch ist dies ein Fall von Kunstförderung, wo die Marke mehr im Vordergrund steht, als es Girsts Motto entspricht, das da lautet: »Die Subtilität des Auftritts zeugt von der Souveränität des fördernden Unternehmens.« Aber, räumt er ein, den »cookie cutter approach«, also die Patentlösung für alle Fälle, gibt es nicht. »Auf internationalen Kunstmessen wie der Frieze, wo unsere potenzielle Zielgruppe unterwegs ist, wollen Sie mit dem Shuttle sein. Bei einem nicht kommerziellen Festival wie
der Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst oder dem Münchner Performancefestival Spielart würden Sie die Leute verprellen, wenn Sie überall ihr Logo projizieren.«
Girst ist seit 2003 Leiter des internationalen Kulturengagements der BMW Group und gerade zum
»Europäischen Kulturmanager des Jahres 2016« ernannt worden. Neben ihm auf der Shortlist des
Kulturmarken-Awards standen die Intendantin des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg Karin Baier und Timothy Walker, Geschäftsführer und künstlerischer Leiter des London Symphony Orchestra. Was die Arbeit dieser drei vergleichbar macht? »Auch Kulturinstitutionen«, sagt Girst, »sollten sich probeweise von außen als Marke betrachten und fragen ›Was macht mich aus?‹Mir ist alles fremd, was sich auf Lorbeeren ausruht oder den Istzustand als gegeben ansieht. Das ist ungerechtfertigt und ungerecht. Ständig in Bewegung sein, sich reflektieren und neugierig bleiben, das ist doch auch ein Seinsgrund.«
Es mag aus Kulturperspektive fast anrüchig wirken, das Wort »Marke« in den Mund zu nehmen und das »Geschäft mit dem Begehren«, das ein Industrieunternehmen wie BMW betreibt, mit der Akquise von Theater-, Konzert- oder Museumsbesuchern zu vergleichen. Aber wozu – und das dürften sich Kulturschaffende ruhig viel öfter fragen – wozu machen wir’s denn, wenn es keiner mitbekommt?
Auftanken vor Gerhard Richter
Girst, 1971 in Trier geboren, ist einer, der die Marketing- wie die Kultursprache spricht und gelenkig miteinander verwebt. Auf dem Weg zu seinem Münchner Büro im BMW-Vierzylinder tankt er sich jeden Morgen vor den drei riesigen Gerhard-Richter-Gemälden in der Lobby für den Tag auf. Er hat in Hamburg Kunstgeschichte, Amerikanistik und Neuere Deutsche Literatur studiert, ging mit einem DAAD-Stipendium an die New York University und das Institute of Fine Arts, wurde Duchamp-Spezialist und arbeitete für den Harvard-Professor Stephen Jay Gould an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft, schrieb nebenher für deutsche Zeitungen – unter anderem Kolumnen für die »taz« – und bewarb sich nach 9/11 auch der Liebe wegen nach Deutschland zurück. An BMW geriet er aufgrund einer Blindbewerbung und ist, sagt er, genau richtig da, gerade weil er als 20-Jähriger »glühende Manifeste gegen jeglichen Einfluss der Wirtschaft auf die Kultur« geschrieben hat.
Damals gab er gemeinsam mit Jan Wagner, der später als erster Lyriker den Preis der Leipziger Buchmesse gewann, »Die Außenseite des Elementes« heraus, eine Art Zettelkasten, gänzlich unhierarchisch gefüllt mit Texten, Zeichnungen und Fotos damals noch weitgehend unbekannter internationaler Künstler. Die »FAZ« bejubelte die zehnte »Verausgabung« dieser unter dem Motto »Non Profit Art Movement« erschienenen »Kulturschachtel« und staunte, dass sich für »so viele unerhörte Stimmen und unbekannte Handschriften« kein Geldgeber gefunden habe.
Ja, die Kunst und das Geld. Heute hat es Girst selbst in der Hand, neben dem Wissen darum, »was man seitens der Wirtschaft tunlichst nicht tun sollte, wenn es darum geht, Kultur zu fördern.« Und er schreibt neben seinem Vollzeitjob immer noch ab und an kluge, streitbare kulturpolitische Artikel – etwa darüber, wie vor allem Megacitys »der zentrifugalen Kraft der Gentrifizierung« entgegenwirken und kreative Talente an sich binden können. Münchens »typisch selbstreferenziellem Solipsismus« verordnet er mehr Mut, sich global zu positionieren – und der Wirtschaft, sich für »Streitbares, Ergebnisoffenes, ja Kontroverses« zu engagieren. Nicht ohne freilich den Künstlern selbst zur Demut im Umgang mit den Steuermilliarden zu raten.
Langfristige Partnerschaften statt Ex-und-hopp-Sponsoring
»Demut« gehört wie »Neugier« und »Respekt« zu Girsts Lieblingsbegriffen. Dabei hat man nie das Gefühl, dass hier einer Formeln abspult. Girst ist ein hellwacher, so filigran wie klar argumentierender Gesprächspartner mit einem großen Wissen über Kunst und der Fähigkeit, sich voll auf sein Gegenüber einzulassen. All das braucht er auch, um sich durch die 2000 bis 3000 Anfragen zu wühlen, die jedes Jahr auf seinem Schreibtisch landen, oder aus eigenem Antrieb auf Kulturinstitutionen zuzugehen. Das kleine Off-Theater um die Ecke kommt dafür sicher nicht infrage, aber ebenso wenig das große, sich praktisch von selbst verkaufende Event: »Wir könnten problemlos jodelnde Bajuwaren um den Globus schicken, aber darin kann sich unser Anspruch nicht erschöpfen, der immer auch Führungsanspruch ist.« Und der beinhaltet auch den Appell zur geistigen Anstrengung, »die den Erlebnisfaktor wie den Erkenntnisgewinn exponentiell vergrößert. Auch wenn das der Art und Weise, wie wir heute Kultur konsumieren, zuwiderläuft.«
Dabei geht es immer um langfristige Partnerschaften, deren Basis von Fall zu Fall verhandelt werden muss – und nicht um Sponsoring. »Sponsoring«, sagt Girst, »schafft Mittel von A nach B. Partnerschaft ist Interaktion, wobei wir niemals Einfluss auf die Inhalte nehmen.« Das Unternehmen gibt also nicht die »cash cow«, sondern bietet seine operative Intelligenz an, um Formate mitzuentwickeln und langfristig zu erhalten. Aber, so Girst: »Vom allerersten Gespräch an muss klar sein: Die Förderung von Unternehmensseite hat nichts mit Altruismus, Mäzenatentum oder Philanthropie zu tun. Es geht um Reputation, die Visibilität des Unternehmens und der Marke. Und es geht um Corporate Citizenship: Was gebe ich zurück an die Gesellschaft, innerhalb der ich wirtschaftlich erfolgreich tätig bin. Wie sich das Unternehmen dabei verhält, was es macht und wie, das sollte man von Kulturseite durchaus kritisch hinterfragen.«
Das kulturelle Engagement der BMW Group ist 50 Jahre alt und hat so unterschiedliche Partner wie das Moskauer Bolschoi-Theater, den BMW Welt Jazz Award, das Jazzfestival in Schanghai oder die Stadt München, mit der gemeinsam BMW 1979 die hinter dem Spielart-Festival stehende historisch erste Public-private-Partnership »Spielmotor München e. V.« gegründet hat. Girst schwärmt von der Stabilität dieser unbürokratischen Verbindung ebenso wie von der »Picknickatmosphäre« unter 40 000 Menschen auf dem Bebelplatz, wo die Berliner Staatsoper jetzt auch »Oper für alle« macht. Aber auch von dem kometenhaften Aufstieg der noch jungen Kunstbiennale im indischen Kochi – »ein Küstenstädtchen südlich von Bangalore, das sich ausgesprochen visionäre Künstler und Kuratoren ausgesucht« und es mit dem BMW-Engagement als »Gütesiegel« plötzlich sehr viel leichter hat, weitere Gelder zu generieren.
Nur die Kirsche auf dem Eisbecher
Während öffentliche Zuschüsse in einem Land wie Indien erst gar nicht zur Debatte stehen, muss man in Deutschland sehr darauf achten, dass die Balance gewahrt bleibt: »Wo sich die öffentliche Hand als Förderer herauszieht, springen wir grundsätzlich nie in die Bresche. Und das ist auch eine politische Ansage: Diese einzigartig reiche, föderalistische Kulturlandschaft gilt es zu wahren. Wir können hier nur die Kirsche auf dem Eisbecher sein. Die Kür und nicht die Pflicht.« Apropos Kür: Thomas Girst ist nicht nur Kulturmanager im Dienste von BMW, Mitglied im Senat der Münchner Hochschule für Musik und Theater und diverser Fördervereine Münchner Museen, sondern auch Dozent (an der LMU und Akademie der Bildenden Künste) sowie nächtlicher (sic!) Bücherschreiber. Ab Januar plaudert das von ihm herausgegebene kleine Bändchen »100 Secrets of the Art World« aus dem Nähkästchen des Kunstbetriebs.
Und Girsts 2014 erschienenes »The Duchamp Dictionary« gilt als Paradestück jener unterhaltsamen und dennoch unverflachten Kunstvermittlung, die er propagiert: »Mich stört massiv dieses Phrasendreschmaschinentum, mit dem viele, die rein dem Akademischen verhaftet sind, die Tür von innen zustemmen. Wir sind ja keine Hirnchirurgen in der Geisteswissenschaft. Man kann durchaus hochkomplexe, intelligent verwobene Sachzusammenhänge dergestalt darstellen, dass sie theoretisch auch den Menschen auf der Straße erreichen können.« Und dieser Mensch muss für den leidenschaftlichen Kommunikator Thomas Girst beileibe kein BMW-Fahrer sein. ||
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