Zur Hölle mit dem renommierten Kabarettpreis: Der Musik-Comedian Norbert Bürger hat das Passauer
Scharfrichterbeil gewonnen.
Da kommt einer mit wildem Blümchenhemd, Lederhose, scharf gezogenem Scheitel und ebenso scharf nach unten gezogenen Mundwinkeln. Er quetscht sich unter komischen Verrenkungen mühsam zwischen zwei Standmikrofonen auf einen Hocker dahinter und verkündet: »I’m a rocker.« Nach den ersten drei Gitarren-Akkorden (mehr scheint er anfangs nicht zu können) und drei Mal gestöhntem »Baby, Baby« weiß man, wie sich ein total verklemmter Spießer gern fühlen möchte.
Der Musiker Norbert Bürger verkörpert diesen grimmigverdrucksten Neurotiker in seinem ersten Solo »Bürger from the Hell«. Und gewann damit im Dezember das große Beil beim renommierten Kabarettwettbewerb des Passauer Scharfrichterhauses. Was schon deshalb ungewöhnlich ist, weil der 49-Jährige nicht mehr als Nachwuchs zählen kann, für den der Preis eigentlich gedacht ist. Bürger ist seit 1978 Berufsmusiker und war im Duo mit Conny Kreitmeier als Orchester Bürger Kreitmeier zehn Jahre lang bis 2007 auf vielen Bühnen präsent. Aber das war eben noch nicht wirklich Kabarett. Erst 2016 traute er sich mit der Figur des Möchtegern-Punkrockers allein auf die Bretter und überzeugte als Newcomer-Solist auch die Scharfrichter-Jury.
Seine kabarettistischen Fähigkeiten beweist Norbert Bürger bereits seit einem Jahr im Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft: Zwar ist er im Programm »Wer sind wieder wir« in erster Linie für die Musik zuständig, die er auf verschiedensten Instrumenten bestreitet, hat aber auch mitgeschrieben und ist Spielpartner von Caroline Ebner, Sebastian Rüger und Frank Smilgies (die beiden kennt man als Comedy-Duo Ulan & Bator). Nach dem gewaltigen Erfolg des neuen Lach-&-Schieß-Ensembles wäre es
verwunderlich, wenn der Ladenchef Till Hofmann das Quartett nicht zu einem nächsten Programm überreden würde. Da hält sich Bürger noch bedeckt: »Wir sind grade am Festzurren.«
»Ich mach’ mir keine Gedanken mehr, ob das Musik oder Kabarett ist. Es muss geil sein. Echt und pur.«
Der Berufswunsch des Freisingers war von Anfang an klar: »Ich wollte einfach Musik machen.« Möglichst, ohne nebenher jobben zu müssen. Studiert hat Bürger in München Gitarre und im Nebenfach Klavier. Die ersten Gigs mischten sich schnell mit der Kleinkunst. »Mein Ziel war aber immer, von eigenen Projekten zu leben.«Ob man die nun unter Musik-Comedy oder Kabarett verbucht, ist ihm egal. »Es geht darum, sein Ding zu machen. Die eigene Sache«, sagt er. »Ich mach’ mir keine Gedanken mehr, ob das Musik oder Kabarett ist. Es muss geil sein. Echt und pur. Das ist das Einzige, was zählt. Und das Echte muss man in sich selber finden. Klar kann man sich inspirieren lassen, aber man muss bei sich selber bleiben.«
Dafür ist er immer wieder ins kalte Wasser gesprungen. Er hat viele Musiker-Jobs gemacht, drei Jahre im Volkstheater bei Aufführungen gespielt, in den TV-Shows von Helmut Schleich, lange Zeit auch beim Impro-Theater Fast Food. »Da hab’ ich viel gelernt, was warum dramaturgisch auf der Bühne funktioniert – die Impro-Technik ist die Basis für alles. Wenn was Unvorhergesehenes passiert, musst du reagieren. Das hat mir auch geholfen bei der Arbeit im Lach-&-Schieß-Ensemble«, resümiert er.
Aber wie entsteht so ein irrwitziger Psycho-Heini wie der Bürger aus der Hölle als Kunstfigur für ein abendfüllendes Solo? Er kann sich’s auch nicht recht erklären: »Die Figur hat sich schon im Orchester Bürger Kreitmeier angedeutet. Sie war einfach da, ich habe das nicht geplant. Nach der Auflösung des
OBK hab ich erst mal nur Musik gemacht, mit meiner Live-Band Pretty Boys. Aber mit neun Leuten war das zu aufwendig und nicht realistisch. Mir hat dabei auch der Kabarettanteil gefehlt. Dann hatte ich die Idee zu einem Solo, hab’ die Figur genommen und bin weitergegangen.«
»Nix gegen Mario Barth, aber da gibt’s keine Inhalte mehr«
Ob er damit auch eine Nische beim Publikum findet, muss sich zeigen. Hilft da ein renommierter Preis wie das Scharfrichterbeil weiter? »Es gibt schon mehr Anfragen als vorher«, sagt er. »Aber ich kann nicht beurteilen, was es bringt. Es gibt ja auch so viele Kabarettpreise. Wichtig ist: Man muss halt gut sein.«Selbst für gute Musikkabarettisten werden die Auftrittsmöglichkeiten rarer. Bürger konstatiert nüchtern: »Die Clubszene ist ziemlich tot. Es funktionieren nur noch die großen Comedy-Acts in der Olympiahalle. Nix gegen Mario Barth, aber da gibt’s keine Inhalte mehr. Eine Ausnahme ist Helge Schneider, ein großer Meister in seinem Fach. Aber die kleinen Musikbühnen
sterben aus.«
Dagegen kämpft er derzeit in Freising, wo er lebt. Dort droht der Kleinkunst-Bühne Abseits das Aus. Das Gebäude, das dem Grafen Moy gehört, soll abgerissen werden. Bürger will mit einem eigens gegründeten Verein das Haus kaufen, sanieren und dann als Konzert- und Kleinkunstbühne betreiben. 300 Mitglieder hat der Verein Abseits, 35 sind aktiv in Arbeitsgruppen. Falls das Unternehmen gelingt, kann der Bürger aus der Hölle auch im Abseits losbrechen und »Baby, Baby« rocken. ||
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