Hinter dem Ostbahnhof wächst ein neues Stadtviertel, das bereits erstaunliche Blüten trägt: Die Whitebox und 27 günstige Ateliers neben dem künftigen Konzertsaal-Gelände bilden derzeit das Herzstück eines Kreativquartiers, das sich im Übergang vom Kunstpark Ost zum künftigen Werksviertel neu positioniert.
Martina Taubenberger hat eine Mission: Seit 1. März 2016 leitet sie als Geschäftsführerin die Whitebox. Berufen wurde sie von Werner Eckart, dem Prinzipal des Werksviertels. Vorher hatte sie zwei Jahre lang über ein Konzept für den 400 Quadratmeter großen Veranstaltungsraum und die ihn umgebenden 1400 Quadratmeter Atelierfläche nachgedacht. Die Aufgabe lautete: Entwicklung und Profilierung eines Konzepts für den Kreativbereich im Werksviertel. Die Musikerin, Konzeptentwicklerin und Kuratorin fand einen bereits entkernten Raum vor, der wieder eine Ausstellungsfläche werden sollte, wenn auch an anderer Stelle, mit anderem Zuschnitt und professionell betrieben.
Die neue Whitebox wurde umgebaut und technisch auf Vordermann gebracht, die Flächen darüber und daneben wurden zu Ateliers. Sechs Künstler aus der Ära Nöth, darunter Ugo Dossi, Olaf Metzel, Loomit und Gerhard Gerstberger, sind geblieben, 27 neue Künstler kamen inzwischen dazu. Die Ateliervergabe erfolgt über ein Kuratorium, das vor allem aus Künstlern und Vertretern der neu gegründeten gemeinnützigen whitebox Kultur GmbH besteht und deren Geschäftsführerin Martina Taubenberger ist. Durch die kuratierte Raumvergabe wird gewährleistet, dass der Kreativbereich zum einen für Qualität steht, zum andern, dass sich die Atelier-Nutzer dem Objekt gegenüber verantwortlich und verbunden fühlen. Sie und ihr Team sind Ansprechpartner für die Künstler, die 7 Euro Kaltmiete für den Quadratmeter zahlen. Die hohen, hellen Ateliers sind zwischen 30 und 160 Quadratmeter groß.
Street-Art als Leitidee
Was in der Whitebox 2017 geschehen soll, tüftelt Taubenberger seit Wochen in intensiver Kleinarbeit aus: »Es geht darum, der Kunst einen Raum zu geben, in dem so etwas wie gesellschaftliche Relevanz wieder verstärkt eine Rolle spielen darf«, so erklärt sie ihren roten Faden bei der Planung. »Wir wollen Projekte anstoßen und realisieren, die sich inhaltlich mit dem verbinden, was historisch auf dem Gelände gewachsen ist. Streetart, Popkultur und Medienkunst – als Erweiterung der digitalen Medienbranche im Werksviertel – gehören da unbedingt dazu. Das geht über die ersten Assoziationen Graffitikunst, Popkonzert und Videospiel aber weit hinaus.«
Das Programm 2017 sieht unter anderem die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Bangalore im Rahmen des Projekts »Double Road« vor, ein Schwerpunkt, den die Whitebox-Chefin »All about India« nennt. Daran werden zwei indische Künstler als Artists in Residence mitwirken. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Thema »Body & Space« mit der japanischen Künstlerin Noriko Kura, die im März in der Whitebox arbeitet, und der französischen Künstlerin Aline Brugel, die dort von Juli bis Oktober Artist in Residence sein wird. Im Herbst gibt es dann eine von Cagla Ilk kuratierte Ausstellung zum Thema »Body & Space«. Die Kooperation mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wird 2017 mit diversen genreübergreifenden Konzertprojekten, u.a. für Familien, intensiviert.
Und das erste große Kunstprojekt im neuen Jahr ist die Medienkunstausstellung »selfciety«: Der
Mannheimer Kurator Benjamin Jantzen hat acht Künstler versammelt, die das »Selfie« neu interpretieren. Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie greift die digitale Selbstdarstellung in die menschliche Identität ein und wie verändert sich dadurch unsere Gesellschaft?
»Kulturvermittlung ist wie Zugfahren«
Martina Taubenbergers Zielgruppe ist die »junge urbane Stadtgesellschaft«, zu der jeder gehört, der sich für die Entwicklung von Stadt und Gesellschaft interessiert und der an ihr teilhaben möchte, in welcher Form auch immer. Spannend daran ist, dass das Werksviertel als »Stadtviertel« gerade erst am Entstehen ist. Weitgehend ist das Gelände in privater Hand, maßgeblich nämlich in der von Werner Eckart. Das bündelt Energien und Ressourcen und bietet gleichzeitig sehr viel Gestaltungsfreiraum.
»Der politisch-kulturelle Diskurs und die Kulturvermittlung sind elementare Pfeiler bei all unseren Plänen. Wir wollen Werte vermitteln, die auch nach den jeweiligen Veranstaltungen spürbar präsent bleiben«, sagt Taubenberger. Niederschwellig und gleichzeitig auf hohem Niveau soll sich das Programm entfalten: »Ich vergleiche unseren Vermittlungsansatz gern mit dem Zugfahren: Manche Leute sitzen täglich im gleichen Waggon, kennen die Einrichtung, die Strecke, den Fahrplan. Andere steigen das erste Mal zu und sind mit allem völlig unvertraut, fahren aber dieselbe Strecke. Das unter einen Hut zu bekommen, ist eine schöne, große Herausforderung.«
Freiraum für die Kunst
Etwa ein Drittel der Betriebskosten, die für die Whitebox anfallen, wird durch die Ateliervermietungen erwirtschaftet. »Unser Anspruch ist es, liquide und agil gleichermaßen zu sein«, beschreibt Martina Taubenberger die Ausrichtung. Dabei geht es nicht um die bürokratische Kommerzialisierung von Kunst, sondern genau ums Gegenteil: »Die Kunst darf hier in einem Freiraum stattfinden. Natürlich sind Kooperationen mit anderen Institutionen geplant, aber die Entscheidungshoheit liegt definitiv bei uns.«
Unternehmen können die Whitebox für geschlossene Firmenveranstaltungen anmieten; bei Kulturveranstaltungen, die »von außen« kommen, legt Martina Taubenberger Wert darauf, dass diese als Projektpartnerschaften verstanden werden. Residenzen für auswärtige Künstler sollen zudem ein fester Bestandteil des Whitebox-Konzepts werden. »Wir wollen unterschiedlichen Kunstschaffenden den Raum und die Atmosphäre bieten, gemeinsame Projekte zu entwickeln. Die Vernetzung hier auf unserem Areal ist der Startpunkt, von dem aus wir über unseren Tellerrand hinausschauen und das Werksviertel an die Stadt anbinden.« ||
SELFCIETY
Website | Atelierstr. 18 | 13. Jan. bis 26. Feb.
Mi bis So, 10–18 Uhr | Eintritt frei
Das könnte Sie auch interessieren:
Max Beckmann in der Pinakothek der Moderne
Galerie Andreas Binder: »FOR FREE*«
Fujiko Nakaya: »Nebel Leben« im Haus der Kunst
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton