Die Reihe »Monokultur München« in der Favorit Bar warf die Frage auf, ob es unter den freien Theatermachern der Stadt einen Generationenkonflikt gibt. Christiane Wechselberger fragte bei unterschiedlichen Kulturschaffenden nach.

Micha Purucker | © Faria Lima

Micha Purucker | © Faria Lima

Micha Purucker

ist Choreograf und Münchner Tanzpreisträger 2003, er erhielt von 1995 bis 2015 die Optionsförderung Tanz.

Gibt es in der Münchner freien Szene einen Generationenkonflikt?
Gäbe es einen Konflikt, wer würde davon profitieren? Die Macher oder die Verwaltung? Divide et impera … heißt es.

Was sind die Gründe und wie äußert sich der Konflikt?
Meinungsstreit um Geld, Strukturen, Standpunkte und Aufmerksamkeit ist normal. Wird neben der künstlerischen Arbeit üblicherweise mit Argumenten geführt. Das wäre dann eine inhaltliche und kulturpolitische Diskussion – nicht soooo beliebt, hier einen Alterskonflikt zu konstatieren, das ist zu billig, auch finanziell! Es gab einen Coup – vielleicht zur Entzweiung – aber das hat wohl mit Ideenlosigkeit und einem Paradigmenwechsel zu tun.

Was sind Deine Erfahrungen?
In der Verwaltung gewinnen kunstferne Kriterien und Motive die Oberhand; man kultiviert Paternalismus, pflegt eine gewisse Refeudalisierung, setzt zunehmend Themen … und zuweilen ist Erstaunliches in der Presse opportun

Was können die Künstler tun, um diesen Konflikt zu lösen?
Sauber und konsequent denken und dann tun oder lassen!

Welche Form der Künstlerförderung fehlt?
Es fehlt ein inspirierter und inspirierender Entscheidungshorizont. Es fehlt an Kenntnis der Prozesse und an Respekt für die Arbeit in einem rechtlich und sozial ungeschützten Bereich. Man kalkuliert zynisch mit dem Engagement hochmotivierter Menschen. Solange sich dieser Geist nicht ändert, sind
die Maßnahmen Candies und belastbare Perspektiven obsolet. ||

Sarah Israel | © Konrad Fersterero

Sarah Israel | © Konrad Fersterero

Sarah Israel

ist Dramaturgin, kuratierte Rodeo 2016 und entwickelt mit dem tschadischen Choreografen und Tänzer Taigué Ahmed künstlerische Projekte

Gibt es in der Münchner freien Szene einen Generationenkonflikt?
Konflikt heißt für mich, dass verschiedene Lager einen Dissens miteinander austragen. Dies sehe ich aktuell nicht, vielmehr lese ich Artikel und höre Stimmen, die die »Alten« von den »Jungen« trennen. Dabei nehme ich Diffamierungen wahr und meine zudem zu hören, dass nicht nur die »Nichtgeförderten« von den »Geförderten« getrennt werden, sondern zugleich jene, die wissen, was wahre freie darstellende Kunst ist, und jene, die dies nicht wissen. Das ist kein Konflikt, sondern zunächst Spaltung. Diese wiederum könnte der Anfang sein von einem interessanten Konflikt, in dem es um mehr geht.

Was sind die Gründe und wie äußert sich der Konflikt?
Wie beschrieben gibt es für mich noch keinen Konflikt, sondern Lager. Was es gibt, sind, mehr als 50 Jahre nach dem Beginn von »Freiem Theater« (nicht institutionell gebundenen freischaffenden Künstlern), sehr verschiedene Künstlerverständnisse und Auffassungen davon, was in diesem Bereich
verteidigt bzw. als Nächstes erreicht werden sollte.

Was sind Deine Erfahrungen?
Ich verstehe mich mit vielen Künstlern der Stadt gut, schätze sie, egal wie alt sie sind und in welchem Genre sie arbeiten. Diese Offenheit, einfach zuzuhören und den anderen Künstlern mit ihrem Werdegang, ihrem Schaffen und ihren Ansichten einen Platz zu lassen, fehlt mir manchmal bei anderen.

Was können die Künstler tun, um diesen Konflikt zu lösen?
Miteinander streiten und sich zusammenschließen. Es muss kein Wir-Gefühl geben, aber ein Bewusstsein dafür, dass der Zusammenschluss von verschiedenen Lagern vorteilhaft sein kann. Der Erfolg der Koalition der Freien Szene Berlin war auch kein harmonischer »Siegeszug«.

Welche Form der Künstlerförderung fehlt?
Es fehlt in meinen Augen in Deutschland etwas, das wie der »état d’intermittent« in Frankreich funktioniert: eine konsequente Künstlerförderung und somit ein klares (staatliches) Bekenntnis zu freischaffenden Künstlern. ||

Kurt Bildstein | © privat

Kurt Bildstein | © privat

Kurt Bildstein

gründete zusammen mit dem 2015 verstorbenen George Froscher 1970 das Freie Theater München (FTM), das weltweit tourte und 2002 den Theaterpreis der Stadt München erhielt.

Es gibt wahrscheinlich schon einen Generationenkonflikt. George war bei unserer letzten Produktion 2012, »Kleist, Wahnsinn der Freiheit«, 86. Ich werde bei der nächsten Produktion 74 sein. Wenn die Alten Geld kriegen und die Jungen keins, ist der Konflikt schon da. Das ist bei der kleinen Anzahl freier Gruppen, die die Chance haben, gefördert zu werden, auch kein Wunder.

Existierte eine Art von Wertschätzung für das, was deine spezifische Theaterarbeit ausmacht, wäre die Sache schon einfacher. Bei einigen wenigen Zuschauern, bildenden Künstlern, Kritikern, existiert diese Wahrnehmung deiner Arbeit durchaus, aber das reicht nicht. Für mich ist es interessant, den Weg, den eine Künstlerpersönlichkeit geht, zu verfolgen, wie z. B. die Arbeit von Alexeij Sagerer, Holger
Dreissig, Berkan Karpat oder Micha Purucker. Ich nenne nur einige der »älteren« kontinuierlich arbeitenden Gruppierungen, wozu auch wir uns unbescheidenerweise rechnen. Alle entwickeln eigene Ästhetiken und sehr unterschiedliche Ansätze. Da kann doch keiner sagen, die tun das nur, um ihre Rente abzuholen. Das sind doch kontinuierliche Arbeitsprozesse. Solche Entwicklungen kann/darf man
doch nicht erst pflegen und dann einfach abschneiden. Dieses »Bloom-up«, das man heute so gerne möchte, kann doch nicht nur »eine Festivallänge lang« dauern.

Das FTM, George und ich, hatte immer die Idee einer Schule als Grundlage für unsere Arbeit im Kopf. Eine Schule für unsere freie Theaterarbeit und nicht als Zulieferer für die Institutionen. Wir haben erkannt, dass es viele Leute gibt, die weniger daran interessiert sind, Karriere zu machen, als ihre eigenen Anlagen zu entdecken und auch weiterzuentwickeln.

Gefüttert wurden wir durch die ungeheure Vielfalt der Ausdrucksmittel, die von internationalen freien Gruppen Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre geradezu über uns hereinbrach, aber auch durch die wieder als Vorbild für Qualität genommenen traditionsreichen östlichen und asiatischen Theaterformen und Körperschulen.

Einmal haben wir’s fast geschafft eine Schule zu gründen, als Joint Venture des damals von der Ausdehnung noch winzig kleinen Kulturreferats unter Dr. Hohenemser mit der Volkshochschule unter Dr. Rieger und dem FTM. Das Projekt scheiterte in letzter Minute. ||

Weitere Stimmen finden Sie in der Nummer 58.

 


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